Antoine Laurain: Liebe mit zwei Unbekannten, Aus dem Französischen von Claudia Kalscheuer, Atlantik Verlag bei Hoffmann & Campe Verlag, Hamburg 2015, 239 Seiten, €20,00, 978-3-455-60017-9

„Er dachte, dass er nicht so weitermachen konnte, dass er die gelbe Linie längst überschritten hatte. Nach seinem‘ schönen Akt bürgerlichen Verantwortungsbewusstseins‘, wie die Polizist gesagt hatte, saß er nun bei Laure am Kaminfeuer und machte sich damit des Hausfriedensbruchs schuldig.“

Genau vor ihrer Wohnung wird Laure mitten in der Nacht überfallen und jemand entreißt ihr gegen ihren vehementen Widerstand die Handtasche. Sie hat sich tapfer gewehrt und doch umsonst. Nun steht sie verloren ohne Hausschlüssel, Papiere und Geld in ihrer Straße. Der gute Geist im Hotel gegenüber überlässt der zutiefst deprimierten Frau ein Zimmer. Am nächsten Morgen muss der Notarzt geholt werden, denn Laure ist ins Koma gefallen. Ursache ist der Schlag auf den Kopf, den sie im Kampf um ihre lila Handtasche hinnehmen musste. Keine Grund zur Sorge und doch ist Wilhelm, ihr Freund und Kollege, auch er ist wie Laure von Beruf Vergolder, unruhig.

Einen Tag nach dem Überfall findet Laurent eine lilafarbene Handtasche, die auf einem Mülleimer deponiert wurde. Als braver Bürger versucht Laurent die Tasche bei der Polizei abzugeben, aber er müsste ewig warten, ehe jemand Zeit für ihn hätte und so nimmt er das ungewöhnliche Utensil, mit dem er sich öffentlich nicht ganz wohl fühlt, mit nach Hause. Natürlich kann er der Versuchung nicht widerstehen und durchsucht die Tasche und dringt dadurch in ein fremdes Leben ein, obwohl ihm das kaum bewusst ist. Den Vornamen der Taschenbesitzerin findet er schnell heraus, denn in einem Buch von Patrick Modiano steht eine persönliche Widmung für Laure. In einem roten Moleskine-Notizbuch, die Schreiberin hat offensichtlich vergessen, den vollen Namen zu notieren, stehen viele Anmerkungen darüber, was Laure mag und was sie nicht mag.

Irgendwie peinlich berührt versteckt Laurent, der seine eigene Buchhandlung führt und natürlich bei der Widmung von Patrick Modiano, der doch sehr öffentlichkeitsscheu ist, aufmerksam wird, die Tasche als seine Freundin Dominique zu Besuch kommt. Sie riecht sofort das fremde Parfüm, das Laurent der Tasche entnommen und versprüht hatte und ein Riesenkrach folgt.

Nur Chloé, Laurents stark pubertierende Tochter, hört sich in aller Ruhe die Geschichte an und empfiehlt ihm, doch Modiano nach dem vollen Namen seiner Unbekannten zu befragen. Langsam wird der Tascheninhalt für Laurent zur Obsession und er beschließt, der „Puzzel-Frau“ ihr Hab und Gut persönlich zu übergeben. Durch Zufall, nicht von Modiano, erfährt er dann auch noch ihren vollen Namen und nun steht der detektivischen Suche nichts mehr im Wege.

Als Laurent vor Laures Wohnung steht, öffnet William. Er glaubt, in Laurent den neuen Freund von Laure zu erkennen und übergibt ihm die Wohnungsschlüssel, denn er muss für drei Tage nach Berlin und jemand muss sich um die Katze von Laure kümmern. Laurent kann nicht widerstehen. Er weiß, er ist jetzt in einer unmöglichen Position und doch siegt die Neugier auf Laure und ihr Leben.
Als Laure aus dem Koma erwacht und sich partout nicht an Laurent erinnern kann, vermuten die Ärzte eine Amnesie. Auch wenn der Dieb sich Laures Geld genommen hat, der Verlust der Tasche mit vielen sehr persönlichen und somit wertvollen Erinnerungsstücken belasten die langsam genesende.

Wie die beiden sympathischen Hauptfiguren zueinanderfinden, immerhin steht im Titel „Liebe“ ist kaum spektakulärer als die gesamte Geschichte, aber sie liest sich einfach gut.

Es ist die Rolle des Voyeurs, die Antoine Laurain seine Hauptfigur fast unfreiwillig entdecken lässt. Der Stil des Autors ist dabei locker und flüssig und somit taucht man als Leser in die Geschichte ein und lässt sich unbeschwert auf ein Happy End hoffend in Pariser Buchhandlungen, Cafés, Parks und Wohnungen entführen.

Antoine Laurain hat in Anbetracht all der Probleme, gerade der französischen Mittelschicht, einen wunderbaren Wohlfühlroman geschrieben, als gäbe es keine Arbeitslosigkeit, keine sozialen Ängste oder gar terroristische Attacken. Gut, der Dieb bestätigt die gesellschaftliche Unsicherheit, aber er spielt alles andere als eine wichtige Rolle. Ihm ist die Story zu verdanken und sie ist weder kitschig noch oberflächlich. Sie erzählt vom ganz normalen Leben und sie könnte sich ereignen.