Jo Baker: Im Hause Longbourn, Aus dem Englischen von Anne Rademacher, Knaus Verlag, München 2014, 448 Seiten, €19,99, 978-3-8135-0616-7

„Das Leben war – so viel hatte Mrs Hill längst erkannt – eine einzige Geduldsprobe, an der alle zuweilen scheiterten.“

Jane Austens Roman „Stolz und Vorurteil“, 1813 anonym erschienen, bildet die Hintergrundhandlung für Jo Bakers Romanhandlung, in der die Dienstboten die Hauptrollen spielen. Der Hausdiener, nur einmal erwähnt in Austens Roman, erhält nun bei der englische Autorin eine tragende Rolle. Und nicht nur er. Die Geschichte setzt genau da ein, wo Mr Bingley in Netherfield eintrifft und ganz Hertfordshire in Aufregung versetzt, insbesondere Mrs Bennet, die Mutter von fünf heiratsfähigen Frauen ist.

Im Hause Longbourn leben als Hauspersonal zum einen der klapprige Mr Hill und seine Ehefrau, die sich um das leibliche Wohl der Familie Bennet kümmert. Sarah, das Hausmädchen, das mit sieben Jahren von Mrs Hill aus dem Armenhaus geholt wurde und Polly, die kaum dreizehn Jahr alt ist, sind für alle schweren Hausarbeiten zuständig. Sie kümmern sich, als hätten sie kein eigenes Leben, um die Herrschaften, deren wöchentliche Wäsche, den Schmutz ihrer Schuhe, das Leeren ihrer Nachttöpfe, das Säubern ihrer Monatsbinden, das Anfeuern der Öfen und sie bedienen bei Tisch.

Eines Tages wird ein junger Mann, James Smith, eingestellt. Sein Vorleben bleibt etwas im Dunkeln, doch es stellt sich heraus, dass er fleißig, umsichtig und vor allem an Sarah interessiert ist. Sie jedoch hat sich sehr zum Ärger von Mrs Hill mit dem selbstbewussten Butler von Mr Bingley, Ptolemy, angefreundet. Er raucht mit ihr und lässt sie die Herrschaften aus einer ganz neuen, eher kritischen Perspektive betrachten. Als Mr Collins sein Kommen ankündigt, will Mrs Hill einen mehr als guten Eindruck hinterlassen, denn sie weiß, dass er, wenn Mr Bennet nicht mehr ist, seinen Besitz erben wird. Und so stehen Herrschaften wie Personal unter Druck, jeder auf ganz eigene Weise.
Sarah, Polly, James und Mrs Hill sind schwer arbeitende Menschen ( Mr Hill verschwindet oft im Keller zum Weintrinken ), deren Fähigkeiten von niemandem im Haus überhaupt gewürdigt werden. Seltsam vertraut jedoch ist das Verhältnis von Mr Bennet und Mrs Hill, warum das so ist, stellt sich im dritten Teil des Buches heraus.

Mr Bennet, der bei Jane Austen eher als der friedfertige, nervenstarke und ab und zu genervte sympathische Hausherr dargestellt wird, erfährt in Jo Bakers Roman eine ganz andere Rolle. Margaret, die spätere Mrs Hill, wird als junge Frau von ihm geschwängert und gibt ihren Sohn in die Familie eines Bauern. Später wird sich herausstellen, dass James, der neue Hausdiener beider Kind ist. Allerdings wird Bennet nichts für seinen Sohn, immer in der Angst vor Gerede, tun, denn er scheint offensichtlich ein Desserteur zu sein.

Auch in Jo Bakers Geschichte spielt Mr Wickham eine unrühmliche Rolle und bleibt ganz in seinem Element als Intrigant und Schützenjäger.

Wer den Roman von Jane Austen gut kennt, vor dessen innerem Auge laufen beim Lesen zwei Handlungen ab, zum einen die der Bennet Mädchen Jane und Elizabeth und zum anderen die des Dienstpersonals, wo ebenfalls geliebt, entliebt und gelitten wird. Jo Baker jedoch erfindet auch die Vorgeschichte des Romans und sie erzählt von Pemberley, denn Sarah wird der jungen Mrs Darcy folgen und dann eine überraschende Entscheidung treffen.

Jo Baker rückt diejenigen Menschen in den Mittelpunkt ihrer Geschichte, die als unauffällige Schatten durchs Leben gehen müssen. Man erwartet von ihnen, das sie funktionieren, was in ihrem Inneren vorgeht, spielt keine Rolle. Immer wieder aus den verschiedenen Perspektiven der Hauptfiguren, aus Sarahs, Mrs Hills oder James‘ Blickwinkel wird erzählt. Dabei kristallisiert sich langsam heraus, dass die lebenskluge Sarah nicht mehr bereit ist, ihre Kraft und ihr Lebensglück für andere Menschen zu opfern. Ist Elizabeth Bennet als eigenwillige Frau bei Jane Austen eine starke Figur, so ist es bei Jo Baker das Dienstmädchen Sarah.

Absolut lesenswert, denn atmosphärisch dicht geschrieben und sehr unterhaltsam, nicht nur für Austen-Fans.