Jennifer Gooch Hummer: Der Sommer als Chad ging und Daisy kam, Aus dem Englischen von Claudia Feldmann, Carlsen Verlag, Hamburg 2014, 350 Seiten, €17,90, 978-3-551-58317-8
„Ich wollte nicht mehr, dass sie schwul waren. Ich wollte nicht, dass Leute wie Mrs Perry das Gesicht verzogen und sich von ihnen abwandten; ich wollte nicht, dass Mike von einem Fuß auf den anderen trat und sich räusperte, wenn er mit meinem Vater sprach; ich wollte nicht, dass Chad dauernd Witze über sich riss, damit es die anderen nicht tun konnten. Und vor allem wollte ich nicht, dass sie Aids hatten.“
Es ist heiß in Maine im Sommer 1985 und die Ferien stehen vor der Tür. Die 13-jährige Apron muss sich mit vielen Problemen herumschlagen, die auch durch die lateinische Sprüche ihres Vaters nicht zu beheben sind. Nicht allzu lang ist es her, da ist Aprons Mutter an Krebs gestorben. Immer wenn Apron an sie denken will und Trost benötigt, schließt sie sich in ihrem Schrank ein. Niemand darf ihre Sachen entfernen, auch nicht M, die ehemalige brasilianische, ziemlich hinterhältige Pflegerin ihrer Mutter, die nun ein Verhältnis mit Aprons Vater angefangen hat. Noch allzu gut kann sich Apron daran erinnern, dass M erzählt hat, dass sie einen Mann sucht, um in den USA zu bleiben.
M ist immer missgelaunt und sie versucht, die rothaarige Apron mit ihren herrlichen Sommersprossen zu demütigen, wo sie nur kann. M will unbedingt, dass Boss endlich verschwindet, er ist ein Meerschweinchen und gehört Apron. Das arme Tier muss sogar im Schrank versteckt werden, damit M ihn nicht sieht. Aprons Vater, ein vielbeschäftigter Latein-Professor, hat keinen Blick für all die Konflikte, die sich hinter seinem Rücken abspielen.
Als M dann auch noch schwanger ist, vereitelt Apron, allerdings ohne Absicht, die kirchliche Trauung. Und Apron lernt Mike, der fast so aussieht wie Jesus Christus, und seinen Freund Chad in der Kirche kennen. Nach und nach wird klar, die beiden sind ein homosexuelles Paar. Der kleine Blumenladen, den die beiden führen, läuft ganz gut. Allerdings haben sie es aufgegeben, die Frontscheibe des Ladens zu erneuern. Immer wieder werfen Unbekannte Steine.
Mike, Chad und Apron verstehen sich vom ersten Moment an und Apron hat ein Geschick für Blumen. Als sich Rennie, Aprons beste Freundin, dann auch noch der Klassenzicke zuwendet, verbringt Apron immer mehr Zeit mit den beiden jungen Männern. Allerdings versteht Apron nicht, warum sich Männer lieben. Als Chad erzählt, dass er den Sexualkundeunterricht langweilig fand und ihn geschwänzt hat, macht sich Apron so ihre Gedanken:
„Ich hätte ihn gern gefragt, ob er deshalb schwul war. Vielleicht wäre er normal geworden, wenn er hingegangen wäre.“
Apron ist eine gute Beobachterin. Sie bemerkt, dass M mit ihrer Schwangerschaft äußerst unglücklich ist. Der Vater vergräbt sich in Arbeit und die Großmutter sieht angeblich kleine Männchen. Zu gern wäre Apron zu ihr gezogen, um nicht mehr in Ms Nähe zu sein. Die Spannungen zwischen Apron und M werden immer offensichtlicher. Und es wird deutlich, dass Chad unheilbar krank ist. Aprons Vater will der Tochter den Umgang mit Chad und Mike verbieten. Er ist unsicher, inwieweit sich Apron bei Aids anstecken könnte. Aber Apron setzt sich durch, sie ist nicht die Haushaltshilfe für M, die nur mit ihren Freundinnen feiern möchte. Apron möchte in den Sommerferien bei Mike im Laden arbeiten. Als Chad langsam blind wird, braucht Mike, auch wenn Freunde helfen, Aprons unbeschwerte Gegenwart. Und Apron erzählt Chad nicht nur Witze, sie liest ihm vor und sie ist bei ihm, als er stirbt.
Jennifer Gooch Hummer erzählt vor dem Hintergrund der Reagan-Zeit von einem sympathischen, mitfühlenden Mädchen, dass sich auf dem Weg zum Erwachsenwerden befindet. Für sie – keine leichte Strecke. Sie lässt sich von den Vorurteilen ihrer Mitmenschen jedoch nicht anstecken und sie lässt sich nichts verbieten. Sie fragt, wenn sie unsicher ist.
„Warum wollt ihr beide eigentlich schwul sein?“
„Niemand will schwul sein, Apron“, antwortete Mike, den Blick auf den Rückspiegel gerichtet. „Man kommt einfach so auf die Welt.“
Als Chad ging, kam Daisy, Aprons kleine Schwester. Als Frühchen muss sie hart kämpfen, um am Leben zu bleiben. Apron und ihr Vater werden sie aufziehen.
Ohne Sentimentaliät und doch zutiefst berührend liest sich dieser feinfühlig erzählte Alltagsausschnitt aus dem Leben eines Teenagers, in dem viel zu viel passiert.
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