Thomas Weiss: Flüchtige Bekannte, Berlin Verlag, Berlin 2014, 192 Seiten, €16,99, 978-3-8270-1211-1
„Ich konnte einfach nicht damit umgehen, aber weniger aus dem Grund, weil sie hier braungebrannt und bester Dinge den ganzen Tag Tennis spielte, während ihre Tochter psychotherapeutisch behandelt wurde, wovon sie – zugegeben – nichts wusste, sondern vor allem wegen meines Wissens um ihre Geschichte, das ich verheimlichte, indem ich die ganze Zeit so tat, als sei ich nichts weiter als irgendein Cluburlauber.“
Es sind die Geschichten, die so fast nebenher zugetragen werden und einen dann nicht mehr loslassen. Die Story von der Frau oder dem Mann, der einfach nur mal Zigaretten holen wollte und nie mehr zurückkehrte, ist bekannt. Die Architektin Maren jedoch nimmt ihren Pass und etwas Geld mit. Sie sagt zu ihrem Mann Berthold, sie gehe ins Büro im Dachgeschoss arbeiten und ward nie wieder gesehen.
Diese Geschichte erzählt Berthold einer Zufallsbekanntschaft, Anne. Anne wiederum berichtet von Berthold und seiner Ungewißheit über das Verschwinden seiner Ehefrau ihrem Mann Joachim, der bei einer Zeitung als Filmkritiker arbeitet. Ihn fasziniert diese wahre Geschichte und er schreibt einen längeren Artikel über die Zurückgebliebenen, Berthold und seine 12 – jährige Tochter Sandra.
Nach und nach lernt der Leser, Joachim ist der Erzähler, so einiges über sein Leben. Anne und er sind noch nicht lang verheiratet, sie gehören einer Baugruppe an, die gemeinsam die künftigen eigenen Wohnungen konzipieren. Jo hält sich bei vielem raus, findet die Fliesensuche einfach nur nervig und überdenkt nach Marens Geschichte, sein eigenes Leben. Wann hätte sein Lebensweg eine andere Richtung einschlagen können? Wie lang wird er als Zeitungsschreiber noch seinen Job behalten können? Warum drängt ihn Anne zu einem Kind, obwohl er doch gar keins möchte?
Nach dem Artikel über Maren und ihr geheimisvolles Verschwinden, Berthold glaubt immer noch an ein Verbrechen, meldet sich ein Leser und kann schlüssig nachweisen, dass Maren in Djerba, in Tunesien, in einem Freizeitclub als Tennislehrerin arbeitet.
Die Perspektive wechselt. Der Leser lernt Marens Sicht der Dinge kennen. Sie ist mit sich im Reinen, mag ihre Arbeit, das Klima, ihre Entscheidung.
Jo hat sich entschieden, ohne Anne oder Berthold Bescheid zu geben, nach Djerba zu fahren. Er will bei Maren Tennisunterricht nehmen, sie kennenlernen, zur Rede stellen und ihre Motive für ihr Handeln ergründen. Je mehr er jedoch sich mit Maren beschäftigt, um so mehr befragt Jo den Sinn seines eigenen Daseins. Ist das so geführte Leben wirklich glücklich? Welchen Zwängen beugt man sich?
Maren vergewissert sich, bei allem schlechten Gewissen gegenüber ihrer Tochter, immer wieder, dass das was sie getan hat richtig war. Einfach loslaufen, in den Zug setzen und Richtung Süden fahren. Keine Gedanken mehr an die Zukunft verschwenden, vor allem keine Nachricht senden, einfach verschwinden.
„Es ist paradox. Dabei ist man viel glücklicher, wenn man sich auf den Augenblick konzentriert, auf das, was ist, und nicht auf das, was sein könnte.“
Jo kann sich nicht überwinden, Maren persönlich auf ihre Vergangenheit hin anzusprechen. Er stürzt sich sinnlos in ein Abenteuer mit einer jungen Angestellten. Und dann stehen Anne und Berthold in der Urlaubsanlage und sehen Jo und Maren.
Es kommt zum Streit mit Anne, die ihm sagt, dass sie schwanger ist. \r\nJos Leben läuft einfach so weiter. Er schert nicht aus, er erfüllt sich nicht seine Träume, er hört auf Anne und kommt zu dem Schluss:„Ich habe nicht den Eindruck, dass dieses Leben genau das ist, was ich will, doch ich weiß, es gibt kein anderes. Vielleicht erwarte ich einfach nur zu viel.“
Thomas Weiss‘ Figuren sind nicht gerade sympathisch. Marens und Jos Existenzen sind nicht krisensicher, aber sie leben mit Partnern zusammen, die als Beamte gut verdienen. Doch wie will man leben, wie geht man mit dem Partner um, wie ehrlich oder unehrlich ist man sich selbst gegenüber? Stellt man eine gewisse Ödnis im Zusammenleben fest, die sich eingeschlichen hat oder hofft man diese zu verdrängen? Und wenn man aus dem Hamsterrad ausbricht, auf wessen Kosten?
Recht unspektakulär ist die Schreibe von Thomas Weiss und doch fesselt seine Geschichte vom Leben der anderen, denn sie führt dazu, dass der Leser sich und sein Dasein, ob er will oder nicht, in Frage stellt.
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