Alan Bradley: Flavia de Luce, Schlussakkord für einen Mord, Aus dem Englischen von Gerald Jung und Katharina Orgaß, Penhaligon Verlag, München 2013, 352 Seiten, €19,99, 978-3-7645-3099-0
„Mist! Hatte man in diesem Dorf denn überhaupt kein Privatleben?“
Sicher hat Dreistigkeit in dieser fünften Dorfgeschichte um die kleine Miss Marple namens Flavia de Luce so ihre Grenzen. Aber wenn jemand die anderen mit Neugier und penetranten Nachfragen, auch übers Privatleben, ausquetscht, dann ist es die Erzählerin dieses Krimis, der elfjährige Nerd. Ohne Probleme immer nah am Geschehen in Bishop’s Lasey, diesmal in der Kirche, steckt Flavia, auch bei extrem moderigen Gerüchen, ihren Kopf in eine Öffnung, die in ein Grab führt. Und sie ist es auch, die unerschrocken die Leiche des Organisten Crispin Cullicutt mit Gasmaske findet. Sie erkundet des Nachts Geheimgänge auf dem Friedhof und erschreckt damit die unbedarfte Vikarsfrau. Sie tunkt ihr Haarband, zwecks späterer Analyse, in das angebliche Blut einer Heiligenfigur. Flavia ist, zugegeben, neunmalklug, von sich eingenommen, manchmal naiv und unerträglich. Da können ihre beiden Schwestern noch so gemein zu ihr sein, sie findet heraus, dass sie nicht von einem Vampir abstammt, sondern dass das Blut der Familienmitglieder sich ziemlich ähnelt. Alles was mit chemischen Zusammensetzungen zu tun hat und sie ist keineswegs zimperlich, erregt Flavias ungeteilte Aufmerksamkeit. Und sie ist belesener als mancher Erwachsene.
Ein Wunderkind, allerdings ziemlich verunsichert. Doch in diesem Band kommt ihr Vater, trotz aller Probleme, endlich mal aus einem Schneckenhaus und erklärt seiner Tochter, dass sie ganz die Mutter ist.
Neuerdings soll nach 500 Jahren das Grab des St. Tankred ausgehoben werden. Flavia darf dabei sein und dann wird plötzlich die Exhumierung abgesagt. Allerdings hatte das Mädchen zu diesem Zeitpunkt bereits die noch ziemlich frische Leiche über dem Grab des Heiligen gefunden. Inspector Hewitt schwant nichts Gutes, denn Flavia stiehlt ihm mit ihren Erkundungen regelmäßig die Show und auch in diesem komplizierten Fall wird es so sein.
Herrlich altmodisch ist diese Krimihandlung, denn niemand recherchiert bei Google oder ruft mal eben per Handy an. In Bishop’s Lasey ist die Zeit stehengeblieben. In der heruntergekommenen Villa der de Luces ist es bereits ein Großereignis, wenn mal das Telefon klingelt und die Nachwirkungen des letzten Weltkrieges spielen immer wieder in die Handlung hinein. Da sich Flavias Vater auch von Wertvollem nicht trennen kann und die unbezahlten Rechnungen ihm langsam den Hals abschnüren, soll der alte Herrensitz zum Verkauf stehen. Eine Katastrophe für alle.
Flavia lenkt sich so kurz vor Ostern erstmal mit ihrem Fall ab. Der morbide Humor des Mädchens durchzieht hierbei die spannende Handlung, in der wiedermal der oder die Mörder das kleine Dorf unsicher machen.
„Ab und zu hätte ich meine mumifizierten Vorfahren gern ans Licht geholt und mir in Ruhe angeschaut – nicht nur, um sie mit den düsteren Porträts in Buckshaws Ahnengalerie zu vergleichen, sondern auch, weil mir der Anblick von Leichen immer wieder Vergnügen bereitet.“
Als der Botaniker und Pflanzenarchäologe Adam Sowerby, der bei der geplanten Exhumierung anwesend ist, Flavia von einem besonderen Stein erzählt, beginnen ihre grauen Zellen zu arbeiten. Der Heilige wurde vor Jahrhunderten nicht nur mit seinen religiösen Insignien begraben, sondern auch mit „Luzifers Herz“, einem Diamanten. Fraglich nur, warum der Richter Ridley-Smith daran so interessiert ist und wieso die übergewichtige Miss Tanty, die eindeutig in den ermordeten Organisten verliebt war, sich so bei Flavia einschmeichelt.
Rätsel über Rätsel, skurrile Figuren und eine herrlich agile Amateurdetektivin, die die Polizeibeamten jedesmal blass oder mit hochrotem Kopf dastehen lässt, weil sie wiedermal etwas übersehen oder nicht für wichtig genommen haben, bereichern Alan Bradleys aufregende Krimi-Reihe.
Zum Ende jedoch bleibt der Leser verblüfft zurück, denn ein paar offene Fragen und der geschickt konstruierte Cliffhanger des Autors machen neugierig auf den sechsten Band!
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