Anne Østby: Zartbitter ist das Glück, Aus dem Norwegischen von Gabriele Haefs, Wunderraum Verlag bei Goldmann, München 2017, 384 Seiten, €22,00, 978-3-336-54791-3\

„Sie fühlen sich in Korototoka wohl, das steht fest. Ich freue mich jeden Tag, wenn ich sehe, wie sie in der Sonne den Hals strecken und ihre nackte Zehen im Sand krümmen. Aber der Funke in Ingrids Stimme, als sie die Schokolade erwähnt hat, war noch mehr, sie hörte sich an wie frisch verliebt.“

Sie haben sich vierzig Jahre nicht mehr gesehen, lose Kontakt gehalten, aber eigentlich sind sie sich fremd, die fünf Jugendfreundinnen aus dem norwegischen Reitvik. Kat ist die einzige, die sich mit Niklas nach dem Abitur in die weite Welt von Projekt zu Projekt aufgemacht hat. Nun lebt sie auf Fidschi und ist Besitzerin einer Kakaoplantage. Ihr langjähriger Gefährte ist bei einem Unfall ertrunken und sie fühlt sich einsam. Ihr Haushälterin und Freundin Ateca hat ihr zugeredet, ihre „Schwestern“ zu kontaktieren und ihnen ein Angebot zu machen. Sie sollen die Zelte in Norwegen abbrechen, zu ihr auf die exotische Insel in Stillen Ozean kommen und hier unter Kokospalmen ihren Lebensabend verbringen.

Sina überlegt nicht lang, stürzt sich ins Abenteuer und flieht vor ihrem einzigen Sohn. Gleich nach der Schule ist sie schwanger geworden, hat als Ungelernte nie viel verdient und Armand, ihr Sohn, der bald fünfzig wird, liegt ihr nach wie vor auf der Tasche mit seinen unsinnigen Finanzprojekten, die alle schief laufen und natürlich ist er nie Schuld an seinem eigenen Lebensdesaster.
Sinas Freundin Lisbeth, die den reichen Bauunternehmer Harald geheiratet hat, ebenfalls 66 Jahre alt, muss auch nicht lang überlegen. Ein Leben, das nur auf Äußerlichkeiten aufgebaut ist, bricht im Alter schnell zusammen, wenn der Mann noch potent ist und seine Liebschaften auch nicht mehr verheimlichen will. Die praktische Buchhalterin Ingrid trennt sich schnell von ihrer Familie, auch wenn der Bruder nicht versteht, was die alte Schwester weit fort von Norwegen in einem unsicheren Land mit keiner guten Gesundheitsversorgung eigentlich will.
Maya, die Lehrerin, ihr Partner ist verstorben, beginnt langsam an ihrem Verstand zu zweifeln. Ihre Tochter Evy begleitet sie auf der Reise zu Kat mit dem Wissen, dass alle Erinnerungen bald fort sein werden.
Alle Frauen lernen sich wieder kennen, auch wenn die alte Vertrautheit der alten Freundschaft schnell wieder auflebt. Aber sie sind nicht mehr jung, sie spüren die Qualen des Alters, die Zweifel, sie leben in Erinnerungen, bemerken Versäumnisse und wissen, es ist der letzte Lebensabschnitt. Aber sie erleben auch Momente, die sie gar nicht mehr erwartet hätten. Ingrids verkrampfte Füße spüren im Sandstrand wieder, wie lebendig sie sind, Lisbeth entdeckt die Schmetterlinge im Bauch, wenn sie auch peinlich berührt, Armand sieht, der es nicht lassen kann, seine Mutter auch in der Ferne zu bedrängen. Und Sina lüftet ein lebenslanges Geheimnis.

Anne Østby erzählt aus der Sicht aller Frauenfiguren, auch Atecas Beobachtungen fließen aus ihrer ganz eigenen Perspektive ein. Das ist auch die Hürde, die die nordeuropäisch geprägten Frauen nehmen müssen, ihnen wird klar, dass ihre Umgebung kulturell und auch materiell völlig anders denkt als sie.

Als Projekt, eine Idee von Niklas, auch wenn das ein Risiko darstellen könnte, möchte Kat mit den Freundinnen aus einem Teil der geernteten Kakaobohnen Schokolade herstellen. Vieles muss gelernt, kalkuliert, verändert werden. Sina wird krank, Mayas Demenz entwickelt sich schneller als gedacht und Armand nistet sich wie ein Schmarotzer bei den Nachbarn ein, die nicht nein sagen können. Auch wenn alle in die Gemeinschaftskasse einzahlen, Sina weniger als die anderen, weiß Kat, dass ihr Projekt auf wackeligen Beinen steht.

Wunderraum, die neue Verlagsmarke für Manhattan beim Goldmann Verlag, will laut Programmleiterin Dr. Andrea Best „ Frauen ab dreißig, die gerne lecker kochen und schön wohnen − zurück zur ‚Essenz des Lesens‘ verhelfen“. Entsprechend kitschig ist auch der Buchtitel und das Cover, aber das sei gesagt, literarisch ist der Titel allemal. Er verhandelt durch die sehr unterschiedlichen Frauenfiguren die realistischen Probleme einer bestimmten Generation, nimmt sie ernst und regt zu eigenen Höhenflügen an, wenn das Arbeitsleben mal vorbei ist.