Stewart O’Nan: Westlich des Sunset, Aus dem Englischen von Thomas Gunkel, Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2016, 416 Seiten, €19,95, 978-3-498-05045-0
„Sie würde vernünftig sein. Er würde nüchtern sein.“
Aber dazu wird es nicht kommen, denn Zelda Fitzgerald wird in der Nervenklinik bleiben und Francis Scott Fitzgerald ein Alkoholiker, auch als er am Tiefpunkt seines Schriftstellerdaseins in Hollywood sozusagen sein Gnadenbrot verdient. Einst gefeierter Jungstar, mit 23 Jahren veröffentlichte er den Roman „Diesseits vom Paradies“ und setzte mit „Der große Gatsby“ 1925 seinen Ruhm fort. Verheiratet mit Zelda galten beide als das mondäne Glamourpaar ihrer Generation, ob in den USA oder Europa. Nun nach fast 17 Jahren Ehe stehen die psychisch kranke Zelda und der ausgepowerte Francis Scott Fitzgerald vor einem Scherbenhaufen. Aber er will unbedingt ein guter Vater sein und sich um seine 15-jährige Tochter Scottie kümmern und ihr teures Internat pünktlich bezahlen. Ein Zuhause der Familie existiert nicht mehr, alle noch vorhandenen Sachen wurden in einem Depot eingelagert. Francis Scott Fitzgerald wird in Hollywood leben, Zelda in der Anstalt.
Schon allein wie Stuart O’Nan die Ankunft von dem einst gefeierten Francis Scott Fitzgerald in Hollywood beschreibt, sagt alles.
„Er war schon zweimal hier gewesen, jeweils als ganz anderer Mensch. Beim ersten Mal hatte er triumphal in die Stadt Einzug gehalten, das goldene Wunderkind und seine Flapper-Braut, hatte beim Aussteigen aus dem Zug Autogramme gegeben und mit Zelda für die Kameras posiert.“
Doch jetzt ist niemand da, um ihn zu empfangen. Auf den roten Teppichen in Hollywood, wenn er sie bei Filmpremieren betreten kann, kennt ihn niemand mehr. Er ist völlig bedeutungslos. Aber Francis Scott Fitzgerald, der streng darauf achtet, das niemand ihn mit Alkohol sieht, lässt sich nicht unterkriegen. Er nimmt jeden auch noch so miesen Auftrag an und schreibt für Drehbücher Dialoge, erfindet Szenen und legt sich ins Zeug. Als sein Vertrag nicht verlängert wird, schlägt er sich als Freelance durch. Er schreibt Erzählungen, die keine Zeitschrift veröffentlichen möchte und beginnt seinen großen Roman über Hollywood „Der letzte Tycoon“. Immer mit Geldsorgen im Nacken trinkt er mit seinem unbeschwert lebenden Nachbarn Humphrey Bogart, trifft sich mit Ernest Hemingway und lässt sich von Marlene Dietrich bedienen.
Und dann trifft er die blutjunge, selbstbewusste Sheila Graham, eine Klatschkolumnistin, die ihn liebt und alle Eskapaden mit ihm ertragen wird. Sie hat sich aus, wie sie sagt „der Gosse hochgearbeitet“ und ist eigentlich nicht bereit mit ihm unterzugehen. Er muss sich zum ersten Mal einer berufstätigen Frau mit ihren Arbeitszeiten fügen und lebt doch auch ein Doppelleben, denn Zelda ahnt natürlich, dass Francis Scott Fitzgerald nicht lang allein bleibt.
Er pendelt von einem Drehbuch zum nächsten, ihm wird ein weiterer Schreiberling vor die Nase gesetzt, er schlägt sich mit Produzenten herum, die alles besser wissen und er ruiniert seine Gesundheit mit zu vielen Zigaretten, Kaffee, Coca Cola und Alkohol. Er nimmt Tabletten um Schlafen zu können und wachzubleiben.
Wenn er Zelda sieht, dann zieht vor seinem inneren Auge die Vergangenheit vorbei, der Aufstieg als der Shootingstar in den 1920er Jahren und der katastrophale Abstieg. Zelda ist unberechenbar, hat einen Nervenzusammenbruch und verändert sich bei jedem neuen Treffen. Sie ist schaumgebremst in ihren Reaktionen und körperlich aufgeschwemmt von zu vielen Beruhigungstabletten. Schritt für Schritt beschreibt Stewart O’Nan einen Mann am Rande des Abgrundes, der nicht nur seine Bedeutungslosigkeit verkraften muss, auch seine Ehe geht dem Ende entgegen und seine Wille mit dem Trinken aufzuhören.
Weit abgeschlagen sieht er wie Erich Maria Remarque, Thomas Mann und Lion Feuchtwanger bei der Filmpremiere von „Three Comrades“ beim Smalltalk zusammenstehen. Er hatte am Drehbuch gearbeitet, seine Name fand sich sogar im Abspann und doch schämt sich Francis Scott Fitzgerald zutiefst für das entstandene Machwerk.
Der gnadenlose Zwang in der Schreibfabrik Hollywood mitzuhalten, ihre unausgesprochenen Regeln zu erkennen und doch am Ende trotz harter Arbeit ohne Nichts dazustehen, zermürben. Auch wenn Stuart O’Nan immer interessiert, wann ein Mensch aufgibt, Fitzgerald kämpft und verliert doch gegen seinen eigenen Körper.
Sein letzter hilfloser Gedanke war:
„Ich bin noch nicht fertig.“
Stewart O’Nan ist ein großer, sehr unterhaltsamer Erzähler, der sich an die atmosphärisch dichte Lebensbeschreibung eines berühmten Kollegen wagt. Er verfolgt ehrfurchtsvoll die Spuren des großen Fitzgerald in seiner finstersten Zeit drei Jahre vor seinem frühen Tod. Mit nur 44 Jahren stirbt Fitzgerald an Herzversagen.
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