Lee Child: Wespennest – Ein Jack-Reacher-Roman, Aus dem Englischen von Wulf Bergner, Blanvalet Verlag, München 2014, 448 Seiten, €19,99, 978-3-7645-0419-9

„Er war ein guter Beobachter. Früher hatte er davon gelebt, dass er Details bemerkte. Er lebte noch, weil er Details bemerkte.“

Auf dem Weg durch Nebraska nach Virginia wird der ehemalige Militärpolizist Jack Reacher im Winter in einem Ort abgesetzt, er ist per Anhalter unterwegs, dessen Bewohner Hilfe benötigen. War das Zufall oder Absicht? Jedenfalls landet Reacher inmitten von vierzig Farmen in einem sprichwörtlichen Wespennest und er wird es nach allen Regeln der Kunst ausräuchern. Das liest sich atemberaubend und spannend, ist jedoch für zarte Gemüter nicht geeignet, denn Nasen werden gebrochen, Frauen geschlagen und gedemütigt, Beine gebrochen, Menschen getötet und und und ….
Wenn Jack Reacher auf eine Ungerechtigkeit stößt, dann greift er ein und so funktioniert auch das Erzählprinzip dieses Romans.

Als der ehemalige Militärpolizist in einer Bar bemerkt, dass der angetrunkene Doktor den Anruf einer Patientin missachtet, zwingt er den Arzt Eleonor Duncan aufzusuchen. Eigentlich ist es dem Arzt untersagt, Mrs. Duncans dauerblutende Nase zu behandeln. Alle wissen, sie wird von ihrem Mann, Seth Duncan, geschlagen. Reacher erfährt von dem nicht gerade redseligen Doktor, dass die vier Duncans im Ort das Sagen haben. Sie stellen die lebenswichtigen Transportmittel für die Ernte zur Verfügung und sie bestimmen, wo es für jeden einzelnen lang geht.

Wie ein Racheengel setzt Reacher ein paar Bodygards von Seth Duncan außer Gefecht und zertrümmert dem Schläger die Nase. Ab jetzt ist Krieg zwischen dem hühnenhaften Fremden und den eigentlich ziemlich feigen Duncans. Als klar wird, dass nicht Seth diesmal seiner Frau die Visage zertrümmert hat, sondern jemand anders, stellt sich heraus, dass die Duncans ein heftiges Problem haben. Am Ende einer Kette von Gangstern haben sie den Transport einer wichtigen Ware vermasselt. Nach und nach schicken die Teilhaber des lukrativen Geschäfts Männer in den kleinen Ort, um den angeblichen Ruhestörer zu beseitigen, und um den Duncans ziemlich klar auf die Finger zu schauen. Ihr Reichtum stammt nicht vom lukrativen sommerlichen Transportgeschäft, sie verdienen ihr Geld durch illegale Geschäfte.

Keinen Führerschein, keine Kreditkarten, Postfach, Handy, E-Mail – Jack Reacher ist nicht zu fassen. Reachers Lebenserfahrung und vor allem sein Dienst bei der Polizei haben ihn nicht verrohen lassen, er spürt, wenn Menschen eine schwere Last mit sich tragen. Durch ein Gespräch mit Dorothy Coe, sie traute sich als einzige ihm ein Frühstück anzubieten, wird klar, dass die Duncans vor fünfundzwanzig Jahren ihrem Kind etwas angetan haben. Die örtliche Polizei, das FBI und die Hubschrauberstaffel hatten jedoch keinen Hinweis auf die achtjährige Tochter von Dorothy gefunden. Nicht mal das Fahrrad konnte gesichtet werden. Da Dorothy die Duncans mit ihrem Verdacht in Verbindung gebracht hatte, lebt sie genauso wie die anderen im Ort seit dieser Zeit mit der täglichen Angst. Reacher beginnt zu recherchieren und findet den entscheidenden Hinweis, dem die Polizei damals nicht nachgegangen ist.

Auch wenn er kurzzeitig von den Schergen der Duncans brutal zusammengeschlagen wird, Reacher gibt nicht auf. Allein gegen die Duncans und die Gangster setzt er sich durch und killt jeden Übeltäter, der sich ihm in den Weg stellt.
Wie die jahrelangen Peiniger der Farmer nach und nach getötet werden, sorgt für eine gewisse Genugtuung.

Erschwerend für den Rächer kommt jedoch hinzu, dass die karge Winterlandschaft von Nebraska eine gute Deckung fast unmöglich macht. Aber der Actionheld Reacher gelangt glaubwürdig zum Ziel und Dorothy erhält ihre Rache und Gewissheit über das Schicksal ihrer Tochter.

Filmisch reiht sich eine Szene an die andere. Der Plot ist äußerst spannend konzipiert, denn nicht nur die Innenwelt des kleinen Ortes wird aufgemischt, auch die Außenwelt muss Reacher im Augen behalten. Lee Child, eigentlich der britische Autor Jim Grant, der seinen Wohnsitz in die USA verlegt hat und auch das Setting seiner Romane, vermag es atmosphärisch dicht Landschaften und Seelenzustände seiner Figuren zu beschreiben. Immer nah an der Handlungsführung fehlen nie die Zwischentöne, die einen guten Krimi auszeichnen.