Max Küng: Wenn du dein Haus verlässt, beginnt das Unglück, Kein & Aber Verlag, Zürich 2016, 381 Seiten, €22,00, 978-3-0369-5744-9

„Sie würde ein paar coole Grafiker fragen, ob sie die Website gestalten würden, die Flyer, Prospekte. Coole Grafiker kannte Virginia etwa zweihundert. Sie würden geile Fotoshootings machen an geilen Locations. Sie würden zum Opening eine Party schmeißen, ….“

Eine Generation, die letztendlich im Wohlstand lebt und nur das kauft, was einen klingenden Namen hat, vom Schuh bis zum Sofa, ist nicht zu bedauern. Niemand muss Virginia sympathisch finden, die als Partygirl nicht mehr ganz jung, von einer eigenen Kollektion träumt und natürlich nur von Sachen, die aus fair produzierter senegalesischer Bio-Baumwolle gefertigt sind. Sie kann nicht zuhören und wenn bei einer Party keine Pillen oder Drogen vorrätig sind, dann geht sie halt zur nächsten. Nur peinlich, dass sie an einem dieser fröhlichen Abende ihre 14-jährige Tochter Cosima unter den Tanzenden trifft.

„Wenn du dein Haus verlässt, beginnt das Unglück“ lautet angeblich ein chinesisches Sprichwort. Nach und nach jedenfalls lernt der Leser, zu Beginn ein bisschen wie ein Märchen erzählt, die Bewohner der fiktiven Zürcher Lienhardstr. 7 kennen. Dort wohnen besagte Virginia, die nach kurzer Ehe finanziell sorgenfrei lebt, ein wettsüchtiger Immobilienhändler mit seiner dummdreisten Frau, die bei einer Boulevardzeitung arbeitet, ein fescher, notgeiler Moderator einer Volksmusikshow mit seiner verbitterten Frau nebst zwei wilden Kindern, ein stiller Pensionär, der am liebsten klassische Musik hört und Fahrrad fährt und eine junge Künstlerin, die eigentlich Studentin ist und sowieso auf dem Sprung. Alle Wohnparteien erhalten nun einen Brief ihres Vermieters, mit der Aufforderung ihre Wohnungen zu verlassen. Allen ist klar, in dieser Straße wird die Gentrifizierung vorangetrieben, um maximale Profite einzustreichen. Was können die Mieter nun tun? Niemand steht wirklich am Abgrund durch diese Kündigung aus heiterem Himmel und doch wissen alle, so eine gute Wohnung zu diesem Mietpreis in entsprechender Wohngegend erhalten sie nicht wieder. Sicher kennt man sich vom Sehen im Haus, aber wirkliche Kontakte existieren nicht. Diese werden nur aufgefrischt, wenn die Journalistin eine entlarvende Story wittert, z.B. über den nach außen hin so beliebten Moderator.

Reihum schaut Max Küng nun in die Lebensverhältnisse seiner Figuren, die allesamt ziemlich unsympathisch, egoistisch und oberflächlich agieren. Sie lügen, betrügen ihre Partner, sind genervt von ihren Kindern oder Hunden, versuchen maximal das Beste aus ihrem Job herauszuholen, frönen einem beschränkten Körperbewusstsein und einem Kampf gegen das Altern, laufen jedem noch so idiotischen Zeitgeist hinterher und halten sich alle für etwas Besonderes. Eine Ausnahme mag der schweigsame Mitbewohner sein, den die anderen allerdings für ziemlich verrückt halten, was er letztendlich nicht ist.

Immer bedacht auf den eigenen Vorteil, gönnt man sich halt etwas und muss sich dafür sicherlich nicht rechtfertigen. Indem die Bewohner sich nun näher kommen, wird klar, wie wenig sie sich eigentlich zu sagen haben.

Sicher haben diese Geschichten mit ihrer Situationskomik auch etwas Voyeuristisches, allerdings sind die Szenen aus dem Leben treffsicher, pointiert, temporeich und schnell erzählt. Der Leser begibt sich in die Beobachterposition und darf sich bei der Krisenbewältigung der Mietparteien über ihre Fehler und Marotten amüsieren. Ob er sich selbst in der einen oder anderen Figur wiedererkennt, bleibt dahingestellt, könnte aber möglich sein.