Eva Lapido: Wende, Picus Verlag, Wien 2015, 328 Seiten, €22,90, 978-3-7117-2028-3

„Es war erstaunlich. Der Unterschied bestand nur darin, dass der Widerstand gegen den Zeitgeist sie reich gemacht hatte, während Jäger daran vereinsamt und verzweifelt war.“

Gleich zu Beginn wird der einst für die Grünen aktiv kämpfende und nun bei der Atomenergie in Frankfurt a.M. angestellte, introvertierte Martin Jäger von offensichtlich russischen Schergen, die sich für einen bestimmten Stick interessieren, ermordet. Allerdings sieht die Tat wie ein Selbstmord aus. Jäger hat sich an seinem eigenen Gürtel erhängt. Am gleichen Tag wurde er wie sein Kollege, Rechtsanwalt René Hartenstein, dank der Energiewende entlassen. Es war durchaus vorhersehbar, dass dies nach den überstürzten Entscheidungen, die so gar nicht zur Kanzlerin passten, geschehen würde.
Hartenstein trauert um Martin Jäger, der an diesem bewussten Abend eigentlich mit ihm ein Bier trinken wollte, was eher ungewöhnlich war. Aber Hartenstein war mit seiner Freundin Cosima bei den wohlbetuchten Eltern zum Geburtstag eingeladen.
Immer am Selbstmord zweifelnd durchsucht Hartenstein Jägers Laptop, auf dem, abgesehen von ein paar Kalendereintragungen, alles gelöscht ist.
Hartenstein entdeckt einen Kontakt nach London, zum Investmentfond LSK Capital, der auf dem Energiesektor tätig ist. Er meldet sich dort und erhält eine Einladung.
Hartenstein sieht sich selbst als Emporkömmling, der es aus der ostdeutschen Kleinstadt Sömmerda in den noblen Westen geschafft hat. Großzügig und regelmäßig unterstützt er seine Brüder und seine Mutter mit Geldüberweisungen.
In London trifft er dann nur kurz zwischen Tür und Angel die immer noch gut aussehende, so um die Ende sechzig Jahre alte Inhaberin des unabhängigen Investmentfonds, Anna Smoktum, und die Welt ist klein, erinnert sich an sie. Sie stammt aus dem Nachbarort Rohrborn und sie hat sich nach der Wende mit einem beträchtlichen Geldbetrag aus dem Staub gemacht. Es wurde wegen „wiedervereinigungsbedingter Wirtschaftskriminalität“ ermittelt, aber in Anbetracht der Fülle an Fällen ohne Beweise wurde das Verfahren eingestellt.
Woher stammte nun das Startkapital von LSK Capital? Hartenstein hat nicht die Absicht, erneut an die falschen Arbeitgeber zu geraten und beginnt mit seiner Recherche über Anna Smoktum.

Reichlich klischeebeladen wird nun Hartensteins Familie in Sömmerda vorgeführt. Über Ostern hat Hartenstein Zeit sich zu überlegen, ob er nun in London probehalber einsteigt oder nicht. Er benötigt den neuen Job, denn seine finanziellen Verpflichtungen sind groß und seine Freundin Cosima wird nicht bei ihm bleiben, sollte er beruflich absteigen.
Hartenstein forscht nun nach Anna und erfährt nach und nach ihre Lebensgeschichte, die sie letztendlich zur Stasi führte und dann wiederum in die Lage versetzte, Geld, das eigentlich dem Staat gehörte, zu veruntreuen.
„Da hatte er begriffen, dass Ostdeutschland elf Monate lang – zwischen Mauerfall und Wiedervereinigung – ein gesetzloser Staat gewesen war. Die Partei hatte die Kontrolle verloren. … Niemand wusste, was legal war, was illegal, und niemand griff ein.“

Hatte Jäger erkannt, welche Rolle Anna Smoktum, innerhalb der Stasi einst spielte? War er hinter ihre Machenschaften gelangt?
Sie hat mit ihrem Investmentfond, als alle auf alternative Energien setzte, in Steinkohle investiert. Clever, sehr clever.\r\nHartenstein begibt sich nach London, erntet seine ersten Lorbeeren und kommt erstaunlich nah an die außergewöhnliche, wie scheinbar unanstastbare Anna Smotkum heran.
Ist er in Gefahr, wenn es weiterhin in ihrer Vergangenheit wühlt? Sie weiß von seinen Recherchen und warnt ihn. Doch Hartenstein ist bereits zu weit gegangen, um alles zu beenden.

Spannend liest sich dieser Roman, der zum einen auf die Energiewende anspielt, die Rolle der Grünen in ihren Anfangszeiten, DDR-Stasi-Machenschaften und vor allem die Tage nach der Wende und die Macht der Russen.
Ob man alles glauben darf, bleibt dahingestellt, aber spannend ist dieses Gedankenspiel der möglichen Drahtzieher, ob in der Politik oder der Wirtschaft auf jeden Fall.