Viveca Sten: Lügennebel, Ein Fall für Hanna Ahlander, Die Åre – Morde, Aus dem Schwedischen von Dagmar Lendt, Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2025, 526 Seiten, €22,00, 978-3-423-28495-0

„Und da waren sie nur noch drei.
Das Zitat aus dem alten Agatha-Christie-Krimi geht Olivia nicht aus dem Kopf. Sie sitzt zusammen mit Amir und Emil am Esstisch und stochert in ihrem Essen, Gulaschsuppe aus ein paar Konservendosen, die sie im Topf heiß gemacht haben.
Nicht mal Emil hatte nach den letzten Ereignissen Lust, etwas zu kochen.“

Ein Ausflug in das größte Skiresort Schwedens im Januar wird für die sechs Studierenden aus Uppsala tragisch enden. In Åre beziehen Fanny, Olivia, Emil, Amir, Pontus das riesige Ferienhaus von Willes Eltern. Genießt die attraktive, das Leben leicht nehmende Olivia die Blicke und Bewunderung der Männer, so spürt Fanny, dass sie eher als Kameradin angesehen wird. Sie verträgt wenig Alkohol und Drogen lehnt sie vehement ab. Mitgefahren ist sie eigentlich nur wegen Amir, in den sie schon lang verliebt ist. Doch dieser bemerkt zwar Fannys Gefühle, ignoriert diese aber, sondern schmeichelt eher Wille, der mit Olivia zusammen ist. Emil, der sich für Männer interessiert, hat das Kochen übernommen und der übergewichtige, wie sich unterlegen fühlende Pontus ist ständig betrunken und aufdringlich, was alle nervt. Innerhalb der Gruppe entstehen Spannungen, denn Wille spielt sich als dominanter Anführer auf und glaubt, als Gastgeber und durch den Reichtum der Familie auch das Sagen zu haben. Fanny mag dieses Auftreten nicht, ist aber auch verunsichert, denn sie hat auf der Hinfahrt etwas alkoholisiert im Schlafabteil gespürt, dass sie jemand angegrabscht hat. Oder war das nur ein Traum? Am Abend dann betäubt sich die Gruppe mit Alkohol und Drogen, für Ausgelassenheit sorgt bei extrem laute Musik. So dauert es nicht lang und der erboste ältere Nachbar Åke steht mitten in der Nacht vor der Tür und beschwert sich. Ihm ist das Haus der superreichen Familie Löwengren sowieso ein Dorn im Auge und eine Woche Lärm will er nicht akzeptieren. Da Amir Fanny nun doch dazu überredet hat, Drogen zu nehmen, flippt sie völlig aus und provoziert den Nachbarn sexistisch und beleidigt ihn. Am kommenden Morgen liegt die Neunzehnjährige unweit des Gästehauses in Unterwäsche halbnackt bei -25°C tot im Schnee.
Dies ist die Ausgangslage für Viveca Stens neuem Seiten starken Kriminalroman. Wie ein roter Faden ziehen sich durch die Åre – Morde – Bände die Privatleben der Ermittler, Hanna Ahlander, Daniel Lindskog und Anton Lundgren. Hanna hat nun seit vielen Monaten eine Beziehung zum Investor und Milliardär Henry Sylvester, was sie allerdings geheim halten will. Daniel hadert immer noch mit seinen Gefühlen für Hanna, aber auch der Trennung von seiner Frau Ida. Er kümmert sich im Wechselmodell um seine kleine Tochter Alice, was mit seiner Arbeit schwer vereinbar ist. Und Anton kann sich nicht überwinden, seiner Familie endlich zu sagen, dass er einen Freund hat.
Nach dem Tod Fannys beginnen in der Gruppe erste Streitereien, als klar wird, dass Fanny vor ihrem Tod Sex hatte. Doch war Fannys Tod nun ein Unfall, bedingt durch Drogen- und Alkoholkonsum oder doch Mord, denn die Kleidung von Fanny an diesem Abend ist nicht auffindbar. Trauert Olivia um die Freundin, so zeigt nur Emil Anteil, wobei Wille, Amir und Pontus eher eiskalt und kaum berührt auf ihren Tod reagieren. Alle Befragungen, auch des Hausmeisters Staffan Berg, führen kaum zu Ergebnissen. Angeblich hat die Nachbarin und Ehefrau von Åke in der Nacht eine vermummte Gestalt in der Nähe der Hütte gesehen. Nach der Obduktion stellt sich dann heraus, dass Fanny möglicherweise im Schnee erstickt wurde. Nach einem Streit innerhalb der Gruppe und gegenseitige Beschuldigungen brennt dann plötzlich das Gästehaus und Olivia und Emil können sich in letzter Sekunde aus den Flammen retten.
Wie immer hilft auch bei diesem Fall akribische Polizeiarbeit, aber auch Aufnahmen von Kameras und energische Befragungen, die Hannas Stärke sind. Sie muss sich außerhalb der Arbeit auch noch mit der Presse herumschlagen, da diese von ihrer Beziehung zu Sylvester erfahren hat und einer unsensiblen wie peinlichen Mutter, die schon die Hochzeitsglocken hört.
Mag der Fall nicht sonderlich kompliziert sein, so beschönigt Viveca Sten auch nichts und beobachtet doch psychologisch genau, wie Gruppendynamiken entstehen und gesellschaftliche Spannungen in Schweden zwischen den Generationen aufbrechen, zum Glück mal ohne Bandenkriminalität im Hintergrund.