Karin Nohr: Vier Paare und ein Ring, Knaus Verlag, München 2013, 320 Seiten, €19,99, 978-3-8135-0526-9
„Es wurde ich schon zuviel, wenn sie an die Musik nur dachte. Dieses ganze Gefühlsgewoge! Sie brauchte Rückzug. … Sie hatte diese Paarveranstaltung einfach satt.“
Kurt Schwemmers, Berliner Dozent und Musikliebhaber, hat die glorreiche Idee. Er möchte mit Freunden gemeinsam den „Ring des Nibelungen“ von Richard Wagner in der Dresdner Semperoper an vier aufeinander folgenden Sonntagen im Januar sehen und diskutieren. Vorher treffen sich alle im Elbschlößchen zu einem Essen und dann kann es losgehen mit Richard Wagners geballter, emotionsgeladener Musik. Für Puccini und Verdi begeistern sich eher Frauen, Wagner scheint der Komponist für die Männer zu sein. Immerhin muss Analytiker Thomas in den Opern ausgiebig weinen. Das hat doch eine Bedeutung.
Eva, zwei Jahre älter als Kurt, jetzt 62, stimmt seinem Vorhaben zu und die beiden laden ein: Familie Blasius, Dirk, ein auf Karriere versessener cholerischer Dozent, der an seiner Habilitationsschrift sitzt und Brigitte, eine graue Maus, die als Bibliothekarin arbeitet und endlich mit Hilfe der Medizin schwanger werden will, Annegret Winkler und ihre 15-jährige Tochter Lena, die allerdings wenig Lust auf Wagner hat und Thomas und Ulrike Diesterkamp, ein Paar aus Halle, das die Gelegenheit wahr nimmt, um endlich mal nach drei Jahren Kind hüten, das Haus zu verlassen.
Jeden Sonntag stimmt die Autorin mit einer geschickten, wie komischen Idee, den Leser auf die Aufführung ein. Ulrikes Schüler erhalten die Aufgabe Rheingold, Walküre, Siegfried und Götterdämmerung als Märchen oder einfache Inhaltsangabe schriftlich wiederzugeben. Nie geht es um die explizite Aufführung, sondern eher um die Gespräche der einzelnen Paare nach dem Abend mit Wagner und den anderen. In den mehr oder weniger fließenden, vieles erfährt der Leser auch durch innere Monologe, Dialogen offenbaren alle ihre Gedanken, Wünsche und Einschätzungen und Lebensvorstellungen. Von Sonntag zu Sonntag verquicken sich immer mehr die Personen auch mit den Darstellern der Wagner Opern. Kurt wird zum hintersinnigen, wie nach Sinn suchenden Wotan, der ein Auge auf Annegret wirft. Mit Ulrike hatte er eine kurze Beziehung, bevor er allerdings Thomas kennenlernte. Eva schwebt wie Fricka über allen Konflikten und teilt ab und zu ein paar Spitzen gegen ihre Mann aus. Dirk entpuppt sich als ehrgeiziger, selbstverliebter wie hinterhältiger Alberich, der mit allen Mitteln um sein Fortkommen kämpft, seine Frau, die er doch so sehr auch für seine Arbeit braucht, verhöhnt und eine erbärmliche Niederlage einstecken wird.
Immer tiefer taucht der Leser in die einzelnen Familienverhältnisse ein, versteht die Konstellationen, Konflikte und Lebensumstände. Brigitte hofft endlich schwanger zu werden. Der Deal ist, sie hilft ihrem aufgeblasenen Ehemann bei seiner Arbeit und er gibt seinen kostbaren Samen für die Zeugung. Bei Ulrike und Thomas scheint das Kind eher einen unsichtbaren Keil zwischen die Eltern zu schlagen, denn der dreijährige Nico hängt nur an seiner Mutter. Thomas wiederrum hat einen Vater als Patient, der seinen fast erwachsenen Sohn durch Krebs, die Frau ist bereits gestorben, verlieren wird.
Immer drehen sich die einzelnen Schicksale auch um die Frage, wie lebe ich und soll es so weitergehen? Die Musik wühlt in allen die tiefsten Sehnsüchte hervor und führt letztendlich zu entscheidenden Veränderungen.
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