Isabel Ashdown: Sunday Girl, Aus dem Englischen von Rainer Schmidt, Eichborn Verlag, Frankfurt a.M., 315 Seiten, €19,95, 978-3-8218-6137-1
„Sie will die Ohrringe so weit von sich fort schaffen wie möglich und vergessen, dass das alles je passiert ist.“
Nach 24 Jahren kehrt Sarah in ihren Heimatort zurück, um am Ehemaligentreffen an der Selton High School teilzunehmen. Wie vom Erdboden war sie nach dem Schulabschluss verschwunden und das hatte einen Grund. Nun hört sie in Gedanken ihr damaliges Lieblingslied „Sunday Girl“ von Blondie und erinnert sich an Lehrer, den Zickenkrieg mit ihren Schulkameradinnen, ihre Arbeit in der Apotheke, die erste Liebe, den ersten verhängnisvollen Sex und die Ereignisse der Jahre 1985 und 1986. Aber dieser Rückblick ist nicht unbeschwert und froh, denn Sarah hütet bis heute ein Geheimnis.
Sarahs Mutter ist früh verstorben und so wurde sie von ihrem Vater großgezogen. Er wirkt auf Sarahs Freundinnen steinalt, denn er wurde pensioniert, widmet sich nun seinen Projekten und seiner Freundin Deborah, die Sarah fremd bleibt.
Schnell taucht der Leser in Sarahs Welt zwischen einem liebevollen, etwas rumpligen Zuhause und ihrem unaufgeregten Schulleben ein. Die Lehrer können ziemlich fies, aber auch verständnisvoll sein, die Freundinnen Kate und Tina, je nach Laune anhänglich oder gemein. Als Sarah den neu zugezogenen Dante kennenlernt, ist Kate, die immer alles das haben will, was anderen gehört, eifersüchtig. Die verwöhnte, wie ungeliebte Kate, die gern Gift gegen jeden, der ihr nicht passt, versprüht, fängt nun an, Sarah gemeinsam mit der blassen Tina zu mobben.
Aber schnell wird Sarah klar, dass der attraktive Dante nicht der feinsinnige Typ ist, für den er sich ausgibt. Er will mehr von Sarah, nur sie ist nicht bereit dazu. Kate hat freie Bahn und schnappt sich Dante. Als Sarah mit ihren Freundinnen in den Jugendclub zum Tanzen gehen will, ist Sarahs Vater nicht einverstanden. Er will seine Tochter schützen und kann es doch nicht. Sarah und Kate vertragen sich wieder, denn Sarah erkennt, dass Dante für sie nicht wichtig ist. Ein anderer Mann drängt sich ihr auf, Kates Vater Jason, der ihr den Hof ganz offensichtlich macht, sie tröstet, wenn sie Kummer wegen Dante hat und eindeutige Absichten verfolgt. Sarah lässt sich mit Jason, dessen Ehe am Ende zu sein scheint, treiben und das offenbar Unvermeidbare geschieht.
Beim Jahrgangstreffen sieht sie dann alle Freundinnen, Lehrer und Bekannten wieder und die Frage bleibt, wie Sarah mit ihrer Rückkehr, dem emotionalen Chaos und ihren Erinnerungen klarkommen wird.
Isabel Ashdown, bereits ihr Roman „Am Ende eines Sommers“ war ein wunderbares Leseerlebnis, zieht den Leser ohne Anstrengung in ihre reale, wie fiktive Welt hinein und lässt ihn gerade über ihre Sprache ganz nah an ihre so widersprüchlich handelnden Figuren heran. Es ist eine alte Geschichte, junges, minderjähriges Mädchen verfällt viel zu altem Mann. Der einmalige Akt jedoch verändert alles. Das liest sich bei Isabel Ashdown nie abgegriffen. Mit nur wenigen Worten charakterisiert sie ihre Protagonisten und lässt dem Leser viel Spielraum, um sich ein eigenes Bild von den unterschiedlichen Lebenssituationen zu machen. Über Tina heißt es nur, sie sei aus der Sozialbausiedlung, sie müsse ihre jüngeren, schreienden Geschwister hüten, hätte wenig Zeit und Geld. An Kate hängt sie sich, trotz allem was ihr widerfahren ist. Was, das muss der Leser aus dem Handlungsverlauf entschlüsseln. So leicht wie sich Sarahs, Kates und Tinas Geschichte liest, so eindeutig ist sie mit viel Tiefgang und psychologischem Einfühlungsvermögen ausgestattet. Wie schwer ist es, mit 15 Jahren die richtigen Entscheidungen zu treffen? Wie nachhaltig können Ereignisse in der Jugend auf das gesamte Leben zurückwirken?
Isabel Ashdown erzählt vom Erwachsenwerden als Zeit der Desillusionierung, aber auch Hoffnung und Veränderung. Dieser Roman für Erwachsene und vielleicht auch Jugendliche gibt Antworten und lässt doch vieles offen. Ein Buch, das lange nachklingt.
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