Friedrich Ani: Süden, Droemer Verlag, München 2011, 364 Seiten, €19,99, 978-3-426-19907-7
„ Die meisten Menschen, mit denen er in seinem Beruf zu tun gehabt hatte, balancierten über ein Seil, zu weit über der ihnen angemessenen Erde.“\r\n
Im Jahr 2005 quittierte Tabor Süden als Hauptkommissar im Münchner Vermisstendezernat seinen Dienst und wechselte in den Kellnerberuf. Der Stoiker kehrt nun zurück und widmet sich im neuen Roman gleich drei Fällen. Er sucht seinen Vater, der ihn aus heiterem Himmel, immerhin hatte er die Familie verlassen, da war Tabor 16 Jahre alt, anruft. Kurz ist das Telefonat und doch bewirkt es ein Umdenken bei Süden. Er heuert bei einer Privatdetektei an und hat auch schon seinen ersten offiziellen Fall. Ohne Handy, etwas seltsam in heutiger Zeit, begibt er sich auf die Spuren des seit zwei Jahren vermissten Gastwirts Raimund Zacherl.
Süden schafft es, gelernt ist gelernt, Zacherls alles abblockende Ehefrau zum Reden zu bringen. Sie erzählt nur ihm, dass ihr Ehemann ihr lang vor seinem Verschwinden berichtet habe, dass er sie wegen einer anderen Frau verlassen will. Aber er ist nicht gegangen. Er hat sich zwei Jahre nach diesem Geständnis auf einen Stuhl gehockt und geschwiegen. Süden versetzt sich nun in die Psyche des Vermissten, versucht so zu denken, wie die abgetauchte Person und stößt gerade bei Zacherl auf unergründliche Hindernisse.
Bei der Suche nach dem Gastwirt ergibt sich für Süden per Zufall ein dritter Fall. Der 12-jährige Benedikt wurde von seiner Mutter tagelang allein gelassen. Bene ist es gewohnt einsam zu sein, auch wenn seine Mutter anwesend ist. Warum Süden, dem das Schicksal des Jungen äußerst nahe geht, darauf vertraut, dass die gefundene, labile Mutter, wirklich verstanden hat, was sie ihrem Sohn angetan hat, bleibt ein Rätsel. Unspektakulär zieht Süden seine Kreise, ermittelt, tauscht sich mit seinem toten Freund Martin Heuer aus und arbeitet sich auf seine Weise Schritt für Schritt zum möglichen Aufenthaltsort des Gastwirts vor.
Wie Friedrich Ani es schafft, unterhaltsam über die bedrückenden Begegnungen mit gescheiterten, festgefahrenen, gedemütigten, trauernden und emotional ausgepowerten Menschen, deren Leben Süden nicht fremd ist, zu schreiben, ist lesenswert.\r\n\r\nDer Münchner Autor Friedrich Ani zieht den Leser von der ersten Seite an in Tabor Südens Arbeitswelt hinein, denn nichts scheint hier konstruiert. Die Handlung wirkt so lebensnah und glaubhaft, wie eine Geschichte, die das Leben in seiner Kompliziertheit und Unbegreiflichkeit selbst geschrieben hat. Keine Leichen säumen den Weg des Ermittlers, sondern nur überzeugende Schicksale von Menschen, die mal lügen und dann wieder die Wahrheit sagen. Nur Süden kann da unterscheiden. ‚
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