Katrin Bongard: Subway Sound, Pink Oetinger Verlag, TB, Hamburg 2013, 215 Seiten, €11,99, 978-3-86430-012-7

„Ich habe mich im Schatten gesehen, während alle anderen im Licht standen. Aber wenn ich an Tim denke, dann kommen mir meine Probleme geradezu lächerlich klein vor.“

Wenn Livia, sie ist die Ich-Erzählerin, unsicher ist, dann beginnt sie zu zählen. Das beruhigt und beschäftigt. Das 14-jährige Mädchen hat sich nach der Trennung der Eltern dafür entschieden, den Vater nach Berlin zu begleiten. Als Auslandskorrespondent ist er viel auf Reisen, aber nach Spanien wollte Livia ihre Mutter, die als erfolgreiche Designerin arbeitet, nicht folgen. Livias Gedanken kreisen um ihre Kreditkarte, um stylische Klamotten und die bange Frage, ob sie in ihrer neuen Klasse auch ankommt. Doch seit sie den jungen Punker mit seinem niedlichen Hund gesehen hat, hofft sie immer wieder auf ein zufälliges Treffen.

Livias Freundin Linda ist mit ihren Eltern nach Australien gezogen und so skypen die Mädchen zu den unmöglichsten Zeiten.

Das offenbar wohlstandsverwahrloste Mädchen, der Vater kniet sich in seinen neuen Job und findet kaum Zeit für seine Tochter, erkundet nun mit ihren neuen, angezickten Freundinnen aus der Schule die Stadt. Sie klauen im KaDeWe eine sündhaft teure Tasche, oder vielmehr muss Livia diese als Mutprobe mitgehen lassen, und schleichen sich in angesagte Nachtclubs, um sich Drinks zu bestellen.

Livias Gedanken jedoch verweilen immer mehr bei dem 17-jährigen Tim. Warum lebt er auf der Straße? Wie ergeht es ihm, wenn er die kalten Nächte überstehen muss?

Livia fühlt sich herausgefordert als Tim behauptet, sie würde nicht eine Nacht allein auf der Straße durchstehen. Sie nimmt die Wette an. Ohne Geld, Kreditkarte oder gar iPhone, aber mit Haustürschlüssel und Feuchttüchern ausgestattet, beginnt ihr Abenteuer.

Katrin Bongard hat sich zwei Protagonisten aus sehr unterschiedlichen sozialen Schichten gesucht, die wie die Königskinder, die eine wedelt mit der Kreditkarte, der andere bettelt sich sein Essen zusammen, auf verschiedenen gesellschaftlichen Seiten stehen. Livia erkennt dies, als sie kaum mit Tim gesehen, von ihren neuen schicken Freundin gemobbt wird. Auch Livia fühlt sich unwohl, wenn sie sich eingestehen muss, wie wenig sie zu Tim steht, wenn ihre Freunde oder Eltern ihn bemerken.

Leider plätschert die Geschichte harmlos oberflächlich vor sich hin und das hat nichts damit zu tun, dass Livia sich sogar für ihren Straßenausflug richtig stylen will. Man fragt sich ernsthaft beim Lesen, was die beiden Jugendlichen aus den entgegengesetzten Welten wirklich verbindet. Allein die blauen Augen des Jungen reichen kaum für das intensive Interesse, das die gelangweilte Livia, die mit Freiheiten für ihr Alter lebt, um die sie viele beneiden, an den Tag legt. Zu gut bewegen sich alle in den dramaturgisch passenden Augenblicken, mal musterhaft gut, böse, unentschieden oder seltsam. Es scheint keine Chance zu geben, dem festgezurrten Rollenkorsett zu entrinnen. Der Junge von der Straße gleicht nicht den gängigen Vorstellungen, Livias Eltern verhalten sich ungewöhnlich tolerant und verständnisvoll, von ein paar Gardinenpredigten abgesehen. Auch die Freundinnen gewöhnen sich an den Straßenjungen, der ja in Livias naiver Vorstellung eigentlich Tierarzt werden will.