Mechthild Gläser: Stadt aus Trug und Schatten, Loewe Verlag, Bindlach 2012, 412 Seiten, €17,95, 978-3-7855-7402-7

„Denn ich würde nie wieder wirklich schlafen können, und wenn ich noch so müde wäre. Konnte man unter diesen Umständen überhaupt ein normales Leben führen? Mein Vater versucht zumindest den Anschein zu erwecken, er täte es.“

Flora Gerstmann fühlt sich ständig müde und hat das Gefühl seit neuestem, dass sie in der Nacht in eine Parallelwelt fällt, in eine immer im Dunkeln liegende Stadt namens Eisenheim. Hier qualmen düstere Fabriken, in denen die Schlafenden, die keine Erinnerungen haben, ausgebeutet werden und hart arbeiten müssen. Eisenheim ist das Reich der Schatten, die Stadt der wandelnden Seelen. Aus allen Teilen der Welt kommen die Menschen, die die Dunkle Materie erzeugen, das Schwarze Loch, dass wir tief im Bewusstsein tragen. Aus der Dunklen Materie wiederum entsteht Energie. Die Ich – Erzählerin Flora ist nun keine Schlafende mehr, sondern eine der wenigen Wandernden im Schwarz-Weiß-Land der Träume. Sie nimmt klar wahr, was in Eisenheim geschieht und das ist nichts Gutes. Immer wenn sie auf die Stadt, in der auch alle naturwissenschaftlichen Gesetze außer Kraft gesetzt sind, in dem Moment des Schlafes hinabsinkt, sieht sie die eigenartige Architektur. Wie ein Spiegelbild aller europäischen Metropolen reiht sich ein Wahrzeichen ans andere: der Eifelturm, der Kreml oder die Kirche von Notre Dame. Flora jedoch ist in Gefahr. Ihre Seele hat einen Diebstahl begangen und den Weißen Löwen, einen kostbaren Stein, an einem geheimen Ort versteckt.
Verschiedene Mächte versuchen nun Floras verschüttete Erinnerungen freizulegen und sie auf ihre Seite zu ziehen.

In der realen Welt taucht plötzlich Marian auf, angeblich ein Austauschschüler aus Finnland. Flora fällt aus allen Wolken, denn nie hatte ihr Vater je einen Fremden in seiner Wohnung geduldet. Flora mag den aufdringlichen Marian nicht, bis zu dem Moment, wo sie bemerkt, dass er zu ihrem Schutz auch in der Schattenwelt gegen die Schattenreiter an ihrer Seite steht. Und Flora muss noch eine Überraschung verkraften, ihr eigener Vater ist in Eisenheim der Schattenfürst und lässt sich von einem äußerst fiesen untoten Kanzler beraten. Wenn der Kanzler den Stein in seine Hände bekommt, dann besteht die Möglichkeit, dass er wieder einen irdischen Körper erhält und die Macht endgültig an sich reißt.

Floras Seele hat Flora, der Wandernden, einen Brief hinterlassen und sie gebeten niemandem zu trauen. Das Mädchen steht vor einem Rätsel und der enormen Schwierigkeit in zwei Welten zu leben bis der Wecker klingelt.

Mit vielen Steampunk – Elementen hat Mechthild Gläser ihren Debütroman ausgestattet. Da fliegen die Zeppeline in der Schattenwelt durch die Lüfte, die Fabriken stoßen viel Dampf aus, Gaslaternen säumen die Straßen in der Schattenwelt, die Mode scheint aus dem 19. Jahrhundert zu sein und technische Spielereien sind keine Seltenheit, wie die sieben Heliometer oder ein kosmologisches Materiophon. Auch die Magie spielt eine gewichtige Rolle in dieser doch zeitweilig undurchsichtigen, leicht schwammigen Handlung. Farblos erscheint die Schattenwelt und doch begegnen sich hier wie in so vielen Parallelwelten die guten und die bösen Kräfte, die um ihre Existenz kämpfen. Ein altes Muster, in dem das Vertraute hinter einer Art Alptraum versteckt zu sein scheint und erst nach und nach hinter den Nebeln hervortritt. Aber die Schattenwelt greift auch in die wirkliche ein und dann kann es nicht nur für Flora gefährlich werden.

Durchaus spannend liest sich die Geschichte von Flora und Marian, die sich finden und wieder verlieren und erneut aufeinander zu gehen. Schneller könnten jedoch die Handlungsstränge zusammengeführt werden und etwas mehr Erzähltempo und psychologische Tiefe hätte dem Roman ebenfalls gut getan, dem sicher eine Fortsetzung folgt.