John Boyne: So fern so nah, Aus dem Englischen von Brigitte Jakobeit und Martina Tichy, KJB, S.Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2014, 254 Seiten, €12,99, 978-3-596-85650-3

„Er wusste nicht, was er empfinden sollte. So war das mit dem Krieg, ging ihm auf. Er brachte alles durcheinander.“

Als Alfie Summerfield fünf Jahre alt wird, beginnt der Erste Weltkrieg. Noch feiern alle fröhlich und doch ahnt Oma Sommerfield bereits, was auf sie zukommen könnte. Alfies Vater soll sich nicht als Freiwilliger melden, doch bereits am kommenden Tag ist er dabei. Der einzige in der Damley Road, der sich dem Krieg verweigert, ist Joe Pacience. Er fragt sich, warum er auf Menschen, die er nicht kennt, schießen soll. Warum soll er etwas für den König tun, wenn der König nie etwas für ihn getan hat? Aber Joe erwartet ein hartes Schicksal. Er wird vor Gericht gestellt, ins Gefängnis gesteckt und auf freiem Fuß von Fremden verprügelt. Sogar Oma Summerfield, die ihn sehr mag, grüßt ihn nicht mehr. Aber da sind schon vier Jahre vergangen.

Alfie ist nun neun Jahre alt. Alles hat sich in seinem Leben verändert. Er glaubt der Mutter nicht, die mit ihren Geldsorgen und den Nachtschichten am Limit arbeitet, dass der Vater auf geheimer Mission für sein Vaterland unterwegs ist. Warum schreibt er keine Briefe mehr? Ist er tot?
Alfie liebt Geschichte und Lesen und darum geht er auch Montag und Donnerstag in die Schule. An den anderen Tagen arbeitet er als Schuhputzer im Bahnhof King’s Cross.
Die Schuhausrüstung hat er, und das war sein einziger Diebstahl, im Laden von Herrrn Janácek gestohlen. Er und seine Tochter wurden, da sie aus Prag stammen, als „Spione“ interniert.

Alfie macht sich viele Gedanken, über die ewig müde Mutter, den Vater, der nicht mehr nach Hause zurückkehren wird und über den Krieg. Einiges erzählen ihm die Kunden, die fast in Selbstgesprächen über die Kriegssituation reflektieren.
Und dann erfährt Alfie, eigentlich nur durch einen Zufall und einen Kunden, dass sein Vater nicht weit von London in einem Krankenhaus untergebracht ist. „Granatenschock“ nennen es die Ärzte, wenn Patienten geistig verwirrt aufgenommen werden. Alfie fährt mutterseelenallein ins East Suffolk & Ipswich Hospital und sucht seinen Vater. Was er im Krankenhaus sehen wird, ist wie ein Schock für den Jungen. Und er fasst einen Entschluss: Er muss seinen Vater, der ihn nur mit Mühen erkannt hat, nach Hause holen.

Alfies Perspektive, aus der der irische Autor erzählt, bleibt in den Grenzen des kindlichen Blicks. Ohne das je ein Kriegsschauplatz auftaucht, zeigt John Boyne illusionslos und unsentimental, was Krieg für die Menschen daheim bedeutet und wie er ihr Leben grundlegend verändert. Alfie ist ein tapferer Junge, der jedoch die Schwere der Krankheit seines Vaters nicht verstehen kann. Er hilft heimlich der Mutter und hofft, auch für den Vater alles richtig zu machen. Alfies Geschichte berührt zutiefst, denn er kann nicht alles begreifen und weiß doch so viel.