Philip Teir: So also endet die Welt, Aus dem Finnlandschwedischen von Thorsten Arms, Blessing Verlag, München 2018, 300 Seiten, €20,00, 978-3-89667-606-1
„Sie dachte, dass dies der schlimmste vorstellbare Verrat war: sich fortzusehnen. Und sie war sich nicht einmal sicher, dass es so war, vielleicht ging es bei ihrer Einsamkeit um etwas ganz anderes, etwas vage Existenzielles; der unheilbare Überdruss der Moderne.“
Nach außen hin wirken Julia, Erik und die Kinder Anton und Alice wie eine rundum glückliche finnische Familie. Gemeinsam können sie nun zwei Monate im lang nicht bewohnten und alten Sommerhaus der Familie Urlaub am Meer machen. Früh haben Erik und Julia geheiratet, denn Alice hatte sich angekündigt. Wie immer hat Julias Mutter Susanne die Dinge in die Hand genommen und gemanagt. Bis heute, Julia ist mittlerweile sechsunddreißig Jahre alt und Alice ist dreizehn, mischt sich Susanne ungebeten in alles ein und Julia kann einfach keine Distanz herstellen.
Aber nun in der Natur und der handyfreien Zone rund ums Sommerhaus kann Julia entspannen. Gut, ihre Mutter wird, da sie und der Vater von Julia nicht weit entfernt wohnen, sie bald besuchen, aber sei es drum. Julia will die Zeit nutzen, um ihren zweiten Roman zu schreiben. Ihr Debüt bekam gute Kritiken. Erik hingegen kann die freien Tage kaum genießen, denn ihm wurde per Telefonat seine Entlassung als IT-Experte eines Warenhauses angekündigt. Schon lang hat es rumort, aber Erik war sich seiner Arbeit sicher. Ein gutes halbes Jahr wird die Abfindung reichen, aber dann wankt die Existenz der Familie.
Im gedanklichen Wechsel kommen alle Familienmitglieder zu Wort. Jeder betrachtet aus seiner Perspektive die gemeinsamen Tage, die kaum als Familienurlaub bezeichnet werden können.
Julia fühlt sich einsam und spielt, ohne von Eriks beruflicher Situation eine Ahnung zu haben, ihr Leben als Alleinerziehende durch. Alice ist mitten in der Pubertät und kaum erträglich und Anton fühlt sich unsicher, er hat Angst in der offenen Natur, im Wald, am Meer. Erik fühlt sich irgendwie zur stillen Nachbarin Kati hingezogen, die ihn aber kaum beachtet. Als Eriks labiler Bruder Anders von einem Vietnam-Trip, den Heimflug zahlt Erik, zurückkehrt und im Sommerhaus kurz unterkommen will, sind alle einverstanden. Nur Erik passt nicht, dass sich ausgerechnet Anders, der nie weiß, was er wirklich mal mit seinem Leben anstellen soll und ständig auf der Suche nach sich selbst ist, sich mit Kati anfreundet.
Und dann treffen Erik und Julia auch noch in Nebenhaus eine Gruppe von Leuten, die sich „die Bewegung“ nennt. Sie sind Umweltaktivisten, die der Meinung sind, jegliches Engagement für den Erhalt der Welt ist sinnlos, man müsse sich auf das Ende und das Leben nach einer Katastrophe einstellen, d.h. ein Leben ohne Technik und materiellen Wohlstand. Das anführende Ehepaar sind Chris, ein gut betuchter Schotte, und Marika, eine ehemalige Jugendfreundin von Julia, die auch verfremdet in Julias Debütroman auftaucht.
Auffällig ist, dass in diesem Roman enorm viel getrunken wird, ein finnisches Phänomen oder einfach nur ein Klischee. Auch die Kinder, der Sohn von Chris und Marika, der dreizehnjährige Leo freundet sich mit Alice an. Auch wenn Anton sich mit den beiden nicht wohl fühlt, muss er Zeit mit ihnen verbringen. Was machen die Kinder? Sie trinken Bier und harten Alkohol. Kein Erwachsener bemerkt die ausgetrunkenen Flaschen.
Jeder der Erwachsenen ist nur mit sich beschäftigt und nach und nach blättern die Fassaden. Bewunderte Julia kurzzeitig auch mit klarem Blick Chris, so stellt sich heraus, dass er und seine Frau von einem Lebensmodell zum nächsten springen, ohne Rücksicht auf ihr eigenes Kind. Leo äußert sein Unbehagen an den ständigen Ortswechseln und Unsicherheiten. Moralisch zweifelhaft umgibt sich Chris mit jungen Frauen, die er finanziell unterstützt und mit denen er im Beisein Marikas eine Affäre hat. In dem Moment, wo Marika das Ende dieser demütigenden Beziehung fordert, wird Chris brutal. Auch Erik, dessen Selbstbewusstsein durch die Kündigung gelitten hat, zweifelt an seiner Ehe mit Julia, die zu früh geschlossen, nichts Neues mehr bietet. Erik fährt nach Helsinki und trifft sich mit einem ehemaligen Partner, der nun, da er sich mit einem Start up – Unternehmen selbstständig gemacht hatte, steinreich ist. Erik ist damals zu früh ausgestiegen, da er mit seiner kleinen Familien keine Risiken mehr wagen konnte. Aber auch Multimillionär Martin hat seine Probleme und muss Leute entlassen.
Philip Teir spielt wie in seinem Roman „Winterkrieg“ auch hier unterschiedlichste Lebensmodelle der Mittelschicht auf der Suche nach dem Lebenssinn durch. Er beleuchtet eine situierte, aber verunsicherte Gesellschaft, die am eigenen Leben zweifelt, nach Sicherheit sucht und diese vielleicht doch in der Familie finden könnte.
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