Kirsten Boie: Schwarze Lügen, Oetinger Verlag, Hamburg 2014, 416 Seiten, €17,95, 978-3-7891-2015-2
„Melody nickte. Amadeus hätte jetzt angefangen, mit dem Mann zu diskutieren. Amadeus hätte sich die Witze nicht gefallen lassen. Aber ihr war alles immer nur peinlich.“
Melody flieht vor ihrem Zuhause und vor dem ständig angetrunkenen „Arsch“, den ihre Mutter aus Not geheiratet hat, damit die afrikanische Familie in Deutschland bleiben kann. Hätte er die geborgte Klarinette nicht zerbrochen, wäre sie jetzt in der Schule und würde ihr Solo spielen. Aber nichts funktioniert. Als der Kontrolleur sie dann auch noch mit Häme beim Schwarzfahren im Bus erwischt, ist die Stimmung endgültig am Boden und sie muss aussteigen. Fremd in der Gegend bittet plötzlich eine freundliche Frau, Annegrete Iversen, Melody in die Villa des Millionärs Sönnichsen. Sie glaubt, dieses Mädchen sei die Enkelin, die Herr Sönnichsen zwar nicht sehen will, die aber trotzdem von ihren vielbeschäftigten Politiker-Eltern zum Opa geschickt wurde. Für eine Nacht will Melody einfach nur untertauchen und ihre Ruhe haben. Sie lernt den gelangweilten Kenneth, den Neffen der Hauswirtschafterin, kennen, der seine Ferien bei der Tante verbringen muss. Er misstraut dem Mädchen, auch weil sie schwarz ist. Melodys Mutter inzwischen vergeht vor Sorgen um die Tochter. Mit Amadeus, ihrem Sohn, meldet sie sich bei der Polizei. Kurz davor fand ein Banküberfall statt. Zwei Menschen kamen zu Schaden und liegen nun im Krankenhaus. Von Anfang an ist klar, der Räuber ist Lukas, ein verwöhntes Söhnchen aus gutem Hause, das bei zwei Typen Schulden hat. Lukas platziert eine Voodoo-Puppe und ein Blatt von Amadeus am Tatort. Auch die Polizei ist skeptisch, prüft Amadeus Fingerabdrücke und hat ihren Bankräuber.
Allerdings hat Lukas per Zufall bei einem Zusammenstoß seine Tasche mit dem erbeuteten Geld mit Melodys Tasche voller Noten vertauscht. Amadeus und Lukas kennen sich von der Schule, denn der schwarze Junge gibt Lukas Nachhilfestunden, ausgerechnet in Deutsch. Lukas sitzen die brutalen Typen im Nacken. Und so brütet der Junge einen gefährlichen Plan aus. Er will die kleine, sehr zutrauliche Schwester von Amadeus und Melody entführen, um die große Schwester mit dem Geld anzulocken.
Melody wird bereits per Medien gesucht und entdeckt gemeinsam mit Kenneth die Beute in ihrer Tasche. Sie lernt ihren angeblichen, fast blinden Opa kennen und sie begleitet ihn sogar am Klavier, da seine verstorbene, geliebte Frau ebenfalls Klarinette gespielt hat.
Und dann steht Linda, die wahre Enkeltochter, vor der Tür.
Wie die Jugendlichen Kenneth, Linda und Melody zu einer verschworenen Gemeinschaft werden und den Fall lösen wollen, liest sich bei aller Konstruktion der Handlung äußerst spannend.
Kirsten Boie ist eine vielfältige Autorin. Sie schreibt für Kinder in jedem Alter, ob es nun Geschichten für jüngere Kinder sind, historische Romane, Fantasy oder kritische Jugendbücher.
Gerade erst erschien mit Erfolg der einfühlsame, wie bewegende Geschichtenband „Es gibt Dinge, die kann man nicht erzählen“. Ohne den Leser zu schonen, erzählt die Hamburger Autorin vom entbehrungsreichen Leben der Kinder in Swasiland. Es sind vier authentische Geschichten, die Kirsten Boie, die sich in dem Land für die Aidswaisen engagiert, dem realen Leben abgelauscht hat.
Nun legt sie einen Thriller für Jugendliche vor und erzählt die Handlung konsequent aus dem Blickwinkel der Jugendlichen. Bei diesem Verwirrspiel ist der Zufall wie manchmal auch im wahren Leben ein wichtiges dramaturgisches Element. Allerdings wiederholen sich allzu oft die gängigen Vorurteile und Witzeleien gegen Menschen mit schwarzer Hautfarbe. Zu einseitig zeichnet die Autorin ihre Figuren, ob nun die Erwachsenen oder die Jugendlichen, die entweder nur gut oder nur bösartig sind. Es fehlen leider die Zwischentöne und eine genauere psychologische Auslotung der Figuren, die aus welchen Gründen auch immer, sich gegenüber farbigen Menschen rassistisch verhalten. Das versöhnliche Ende wirkt wie ein freundlicher Kompromiss.
Schreibe einen Kommentar