Julia Franck: Rücken an Rücken, Verlag S. Fischer, Frankfurt a. M. 2011, 382 Seiten, €19,95, 978-3-10-022605-1

„ Er nickte, wir setzen uns Rücken an Rücken und du erzählst von unserem Vater.“

Handlungsort: DDR, von 1954 bis in die frühen 1960er Jahre
Eine schmerzhafte Kälte zieht sich durch diesen Roman, die Kälte von Stein und die Kälte der Mutter Käthe, der Bildhauerin und linientreuen Kommunistin. Sie verweigert ihren Kindern, Ella und Thomas, mehr als nur einen warmen Ofen. Gejammer oder Klagen kennt diese Rabenmutter, die gelegentlich auch zuschlägt, nicht, genau so wenig wie Bequemlichkeit. Jeder hat sich selbst durchzukämpfen, gesund zu sein, denn Krankheit bedeutet Schwäche und die wird im Rahnsdorfer Haus im Osten Berlins nicht geduldet.
Die unbehausten, ja symbiotisch lebenden Kinder Ella und Thomas schmiegen sich eng aneinander, wie Hänsel und Gretel, die die Eltern im Wald ausgesetzt haben. Sie flüstern sich Geschichten zu, entwickeln ihre eigene lautmalerische Zaubersprache, geben sich, so weit es möglich ist, gegenseitig Wärme und Kraft, spüren aber auch die Konkurrenz um die Liebe der so starken Mutterfigur, die den Sohn bevorzugt. Die „Trolle“, ebenfalls Kinder von Käthe, Zwillinge, sind in Heimen untergebracht und kommen gelegentlich zu Besuch.
Der verträumte Thomas dichtet und Ella tänzelt und spielt sich durch ein Leben, dass früh vom Missbrauch durch den Lebensgefährten der knüppelharten Mutter geprägt wird. Um sich Privilegien, wie ein Auto oder Westreisen, zu verdienen, vermietet die Mutter ein Zimmer in ihrem Haus an einen IM der Stasi. Auch dieser Mann vergeht sich an Ella. Verzweifelt kann sich das Kind nur in die Krankheit flüchten, von der Mutter kurzzeitig beachtet und doch wieder über die Kunst und eine gesellschaftlich wichtige Auftragsarbeit für Walter Ulbricht vergessen.
Rau sind die Zeiten, in denen die DDR-Kulturschaffenden immer mehr unter das Diktat der Partei gezwungen werden, rau ist der Ton, der zwischen Mutter und Kindern herrscht, besonders dann, wenn die Kommunistin registriert, wie ihre Kinder sich ihrer besseren Welt, ihrem sozialistischen Staat entziehen.
Voller Brutalität und Gewalt sind die Bilder, die Julia Franck dem Leser vor Augen führt, wenn sie zeigt, in welcher Umgebung Ella, die immer selbstbezogener agiert, und Thomas, der alles richtig machen will, aufwachsen müssen. Eine Extremsituation folgt der nächsten und die körperlichen Demütigungen, die beide Kinder und später Jugendliche aushalten müssen. Thomas ist gezwungen der Mutter nackt und frierend Modell zu stehen, auch wenn Besucher dabei sind, darf er sich nicht rühren. Sein Arbeitseinsatz für Vater Staat im Steinbruch führt ihn fast an den Rand des Todes. Ella trinkt, rebelliert, schwänzt die Schule, magert zusehens ab und entstellt sich selbst in Erinnerung an die ekelerregenden, sexuellen Übergriffe.

Julia Franck öffnet, bereits in dem preisgekrönten Roman „Die Mittagsfrau“ verarbeitete sie die Geschichte ihrer Großmutter väterlicherseits, wieder eine Tür zu ihrem Privatleben. Die Berliner Autorin erzählt von ihrer Großmutter mütterlicherseits, Ingeborg Hunzinger und ihrem Onkel, der sich mit 18 Jahren das Leben nahm. Seine Gedichte finden sich wortwörtlich in dem Roman wieder, die die Mutter Julia Franck gezeigt hatte, als sie 17 Jahre alt war.
Sicher ist es ein Roman, die Handlung und die Figuren sind überspitzt, überstilisiert und verfremdet dargestellt und doch ist er atmosphärisch so bedrückend geschrieben, dass er den Leser mit seiner intensiven Sprache entweder fasziniert und abstößt. Stellenweise sprachlich angestrengt, auch in den Kitsch abgleitend und mit Symbolik überfrachtet, gelingen der Autorin aber viele dichte, äußerst gelungene Passagen, die in der Erinnerung haften bleiben.