Judith W. Taschler: Roman ohne U, Picus Verlag, Wien 2014, 330 Seiten, €17,99, 978-3-7117-2018-4
„Plötzlich fiel es ihm ein. Roman ohne U! Er sah sich als Kind auf dem Dachboden sitzen und mit einer uralten Schreibmaschine, die er in einem Kasten gefunden hatte, spielen.“
Diese Schreibmaschine, eine uralte Continental, gehört Thomas Bergmüller. Es existiert nur die Metallverbindung, aber der Buchstabe U ist fort. Einst hatte der verhasste Vater die Maschine vor Wut vom Tisch geweht. Thomas wollte studieren, schreiben, er wollte nicht sein Leben lang in der Mühle als Knecht arbeiten und dann dabei zusehen wie sein jüngerer Bruder Arthur alles erbt. Nach einem erneuten Streit verlässt Thomas 1945 die Mühle und läuft den Russen in die Arme. Nach 20 Jahren Lagerhaft in Sibirien, schwersten Demütigungen, missglückter Flucht und gesundheitsschädigender Arbeit im Uranbergbau wird er in die Heimat zurückkehren und nie wirklich ankommen. Und erst Jahre später erfährt Arthur die wahre Lebensgeschichte seines Bruders, eine Geschichte voller Gewalt, Mut aber auch tiefster Liebe.
Judith W. Taschler erzählt nicht chronologisch die Geschichte von Thomas Bergmüller, der in den sowjetischen Straflagern die Liebe seines Lebens, Ludovica Juliane, kennenlernen wird und die Geschichte der Familie seines Bruders Arthur und dessen Sohn Julius. In ihrer Montagedramaturgie wechselt die österreichische Autorin zwischen Rückblenden und fortlaufendem Handlungsbericht der erzählten Gegenwart. In gutem Erzähltempo schildert sie Episoden aus den verschiedenen Lebensphasen ihrer fiktiven Protagonisten. Dabei verweben sich die Schicksale der Familienmitglieder, ohne dass sie überhaupt selbst eine Ahnung davon haben. Erst am Ende klären sich die Beziehungen auf tragische wie seltsam glückliche Weise.
„Als man mich aus der Zelle holte und zum Verhör bringt, sehe ich Ludovica zum ersten Mal, sie steht im Gang zwischen zwei Soldaten. Sie fällt mir sofort auf. Ein Sonnenstrahl, der durch ein schmales Fenster fällt, erhellt genau ihr Gesicht. Noch nie habe ich ein so schönes Mädchen gesehen: rotblonde lange Haare, grüne Augen, ein kleiner Mund, kleine Nase, alles wirkt zart an ihr, selbst sie Sommersprossen.“
Diese rotblonden, erstaunlichen Haare fallen auch bei Julius\‘ Geliebten Stefanie Mangold auf. Sie erteilt Julius Ehefrau Katharina den Auftrag, die Biografie ihres Onkels Thomas zu schreiben. Er hatte immer wieder versucht, seine ungewöhnlich harte Lebensgeschichte, die von Judith W. Taschler atmosphärisch genau und schonungslos erfunden wurde, in eine Form zu bringen. Es existieren Aufzeichnungen und eine CD.
Katharina und Julius werden viel zu jung Eltern von Zwillingen. Verblendet von ihrem Liebesrausch wird ihnen erst später klar, wie wenig sie zueinander passen. Julius geht Kompromisse ein, um Geld zu verdienen und seine Familie zu ernähren. Nur durch die Hilfe von Arthur, der irgendwie etwas gut machen will an seinem Sohn Julius, überlebt die Beziehung der beiden. Die kleine Familie zieht zum Vater aufs Land, noch zwei Schwangerschaften folgen und als Katharina in ihrem Beruf endlich wieder Fuß gefasst hat, wird sie durch eine Intrige ihres eifersüchtigen Ehemannes wieder schwanger. Ihre Ehe steht kurz vor dem Ende.
Julius arbeitet dann als Pharmavertreter für Tirol und Katharina hat sich mit den Aufzeichnungen von Biografien selbständig gemacht. Nach sechs Jahren Wochenendehe wünscht sie sich wieder ein engere Beziehung zu ihrem Mann. Da hat sie bereits über das Schicksal von Thomas Bergmüller und seiner großen Liebe Ludovica, einer begabten Pianistin, in wahrhaft schwierigen Zeiten geschrieben. Doch dann geschieht ein tötlicher Unfall, beteiligt sind Julius und Stefanie.
Schnörkellos ist die Erzählweise von Judith W. Taschler, dabei lotet sie die psychologische Seite ihrer Figuren aus, ohne zu viel zu analysieren. Immer sind es die Söhne, die keinen Kontakt, keine Nähe zu ihren Vätern finden. Dieser Grundkonflikt und das Heimatgefühl, die einen fliehen vor der Bergmühle in Oberösterreich, die anderen spüren nur hier Verbundenheit und Sicherheit, ziehen sich durch die Familienerzählungen. Vom Ende her allerdings erweist sich, wie klug der Roman konzipiert ist und wie die einzelnen Lebensgeschichten mit ihren Höhen und Tiefen miteinander verwoben sind.
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