René Anour: Tödlicher Duft, Der erste Fall für Commissaire Campanard, Heyne Verlag, München 2024, 400 Seiten, €16,00, 978-3-453-42880-5

„Früher hatte sie sich nie Gedanken über Gerüche gemacht. Sie waren einfach da gewesen, eine unbewusste Stimmung, die in der Luft lag. Mittlerweile hatte sie zumindest begonnen zu erfassen, wie die Düfte einem Moment Tiefe verliehen und wie limitiert ein Sinneseindruck sein konnte, wenn sie fehlten.“

Welch gewaltige Wirkung ein spezieller Duft auf einem Körper haben kann, wissen Lesende seit Patrick Süskinds modernem Klassiker „Das Parfum“. Und was liegt näher als in der Provence, in der die neuen Krimis von René Anour ( Arbeitet als Experte für neu entwickelte Medikamente für die European Medicines Agency. ) spielen, der Zauberkraft von Düften nachzugehen. Im Mittelpunkt steht der eigenwillige Commissaire Louis Antoine Campanard, Träger eines altmodischen Schnäuzers, äußerst freundlich und zuvorkommend, Literaturliebhaber, Hobbygärtner und vor allem Autohasser. Er wohnt im schönen Grasse und könnte seinen Terrassengarten genießen, wenn da nicht ein Mord in der berühmten Parfumerie Fragonard ( existiert wirklich ) geschehen wäre. Der König der Düfte und Parfümeur, Éric Sentir, ist in einem Bottich mit Extraktionen von blutroten wie perfekten Kamelienblüten ertrunken. Auf dem Boden neben dem riesigen Gefäß findet der Commissaire eine zerschlagene Parfümflasche mit Überresten von Kakao und Schwarzschimmel. Außerdem wurde Sentir mit Tabletten betäubt. Das Opfer jedenfalls war ein umtriebiger, wie charismatischer Partylöwe, der keine Gelegenheit auslassen konnte, um in den sozialen Medien aufzutreten. Bei den Befragungen, die Campanard und Inspecteuer Pierre Olivier durchführen, reden alle nur Gutes über den armen Verstorbenen. Das erregt die Skepsis der Ermittler, zumal sich Sentirs Konkurrent bei Fragonard, Franc Duchapin, nur über einen Anwalt zu einem Gespräch bereit erklären würde. Niemand möchte das Ansehen der Parfumerie Fragonard beschädigen. Und so greift Campanard zu einem besonderen Mittel und erbittet von seiner Vorgesetzten und Präfektin, ein sogenanntes „Project Obscur“ starten zu dürfen. Er holt aus Paris die forensische Psychologin Linda Delacours und schleust sie in einen Kurs des Instituts de la Parfümerie. Hier soll sie die Augen offen halten, etwas über die Parfumherstellung und kalte Enfleurage, u.a. von Franc Duchapin und Pauline Egrette lernen und ihm mit ihren Kenntnissen über das Lesen von Mikroexpressionen in Gesichtern bei der Aufklärung des Falls helfen. Immer noch von ihrer letzten Arbeit in Paris seelisch und psychisch beeinflusst, neigt Linda zu Panikattacken und zittrigen Händen. Etwas überfordert versucht sie nun im international besetzten Kurs ihr Bestes und ahnt, dass der geheimnisvolle wie attraktive Franc Duchapin durchaus Menschen mit seinen Düften manipulieren kann. Oder ist das nur eine fixe Idee von Campanard?
Wie in fast allen aktuellen Krimis spielt auch in diesem der Klimawandel eine wichtige Rolle. Ist es noch möglich um Grasse herum alle möglichen Blumen und Kräuter für die Parfümerieherstellung anzubauen, so gehen doch viele Parfümeure auch zu synthetisch hergestellten Ingredienzien und Duftstoffen über. Wie sah es damit bei Fragonard und dem Ruf der Parfümerie aus?
Worum drehte sich der laute Streit zwischen dem Geschäftsführer von Fragonard, Charles Josserand, und Sentir fernab von Grasse bei einem geheimen Treffen in einem kleinen Café? Und was hat Duchapin in seinem Keller, was niemand sehen darf? Und dann bleibt auch noch die Frage offen, wohin führte Sentir diese klammheimliche Duftreise, die in keinem seiner Social Media Sites auftaucht?
Spannend und ein bisschen verrückt wird es auf jeden Fall und dafür sorgen nicht nur die verführerischen Düfte der Parfümeure. Wunderbar umkreist René Anour in seinem Krimi die Feinheiten der Parfumentwicklung und wer mehr darüber erfahren möchte, sollte sich unbedingt auf diesen Fall einlassen.

Guter Auftakt mit ambivalenten Figuren und vor allem einem interessanten Commissaire!