Hervé Jaouen: Pardon, Monsieur, ist dieser Hund blind?, Aus dem Französischen von Corinna Tramm, Urachhaus, Stuttgart 2013, 189 Seiten, €14,90, 978-3-8251-7786-7

„ Ich stellte mir vor, dass Omamas Gedächtnis geschmolzen sei und in ihrem Kopf nur einige Edelsteine übriggeblieben seien, die in das Spitzenmuster eines Gedächtnisses, so löchrig wie ein Sieb, eingebettet waren.“

Sommerferien sind angesagt, das heißt für die 13-jährige Véro bis in die Mittagsstunden schlafen, am Strand mit den Freunden abhängen, viel baden und die Tage genießen. Aber alles kommt ganz anders, denn seit Omama, die Mutter von Véros Mutter, in aller Seelenruhe ihre Küche abbrennen ließ ohne auf die hysterischen Warnungen ihres Nachbarn zu reagieren, ist klar, Omama kann nicht mehr allein in der Villa wohnen. Véro muss ihr schönes Zimmer mit Bad räumen und die alte, sehr aristokratische, auf Benehmen bedachte Frau zieht ein. Omama ist noch alte Schule, aber liebenswert. Véro, sie erzählt auch diese Geschichte, darf nun den Dachboden in Beschlag nehmen und sogar Guillaume, ihr älterer Bruder, würde gern mit ihr tauschen.

Die noch leicht verwirrte Omama stellt die Familie, Josée, die Tochter arbeitet als Übersetzerin zu Hause, der Schwiegersohn ist Philosophielehrer, vor eine Zerreißprobe. Sie hortet alle möglichen Sachen wie eine diebische Elster unter ihrem Bett. Dort finden sich nicht nur Schokoriegel, sondern auch Toilettenpapier und Besteck und vieles andere mehr. Mitten in der Nacht sucht Omama regelmäßig ihre wertvolle Brosche, die die Familie dann durch Billigkäufe immer wieder ersetzen muss. Sie badet nachts und hält alle in Trab. Aber die Familie nimmt alles, von wenigen Zankereien abgesehen, mit Humor und Leichtigkeit. Außerdem müssen sie die Omama geistig stimulieren, das heißt sie spielen ständig mit ihr Brettspiele. Aber nach und nach beginnt die Omama, in ihrer Vergangenheit zu versinken. Sie glaubt, dass sie in der Zeit des II. Weltkrieges lebt, hortet Lebensmittel und erinnert sich an ihren zweiten Mann, den Spanier, der offenbar Kontakt zu Ernest Hemingway hatte.

Véro hat in einem Reisekoffer, den sie an sich genommen hat, die Liebesbriefe an die Omama gefunden.

Aber Omamas Anwesenheit hat auch ihre Vorteile. Endlich schafft der Vater ein schnurloses Telefon an und Véro kann mit ihrer Freundin Lucie in Ruhe über beider Schwarm Renaud reden. Allerdings hat auch Omama das Telefonieren für sich entdeckt, was zu einem riesigen Krach und einer horenden Rechnung führt.

Die Villa der Omama soll verkauft werden. Omamas Sohn Jean-Charles taucht auf und will als Bauunternehmer, seine Frau ist Immobilienhändlerin, die Sache in die Hand nehmen. Josée möchte der Mutter nicht so schnell den Garten entziehen, aber der raffgierige Sohn schiebt einen angeblichen finanziellen Engpass vor und verkauft. Josée sorgt dann dafür, dass auch ihre Mutter einen Anteil der Verkaufssumme erhält, im Fall sie professionell gepflegt werden muss.

Die Stimmung zwischen den Geschwistern ist angespannt, denn Jean-Charles und seine unsympathische Frau Katharina sorgen sich kaum um die Mutter, schieben sie eher ins Altersheim ab, wenn sie in der Zeit, in der Véros Familie Urlaub macht, sich um sie kümmern sollen.

Die Stadien der Krankheit, die der Neurologe als Alzheimer bezeichnet, verändern sich in raschem Tempo. Zu Beginn sind die Gedächtnisausfälle der Omama noch komisch. So klaut sie im Supermarkt eine Tüte Bonbons, wird erwischt und bringt den Sicherheitsbeamten mit ihrem Gerede völlig durcheinander.

„ Gewiss!“, sagte Omama. „Seit meiner letzten Schwangerschaft leide ich an Hämorrhoiden.“
Als ihr erzählt wird, dass ein Hund angeblich blind sei, fragt sie, warum er denn keine Brille tragen würde. Weniger witzig ist, dass sie die Übersetzungsarbeit ihrer Tochter auf dem Computer löscht, da sie glaubt eine Schreibmaschine vor sich zu haben.

Später dann findet die Omama nicht mehr nach Hause. Die Nachbarn bitten sie herein, trinken Tee mit ihr und rufen die Tochter an.
Aber dann wird für die alte Frau das Fernsehprogramm zu einer beängstigenden Kulisse. Am Ende sucht sie ihre Kleinen und meint damit ihre Kinder. Sie starrt vor sich hin und scheucht niemanden mehr auf.

2000 erschien dieser Roman des französischen Autors Hervé Jaouen und wurde mit mehreren Preisen ausgezeichnet. Hervé Jaouen verharmlost nichts. Bei aller Komik, die sich um die Krankheit rankt, und der Herzlichkeit der Familie, die auf jede Äußerung der Omama eine passende Antwort findet, und wenn sie noch so absurd ist, zeigt die Geschichte doch die Unbarmherzigkeit und Traurigkeit die Demenz für jeden Menschen mit sich bringt.

Aber die Familie versucht mit der Omama und ihrer Krankheit ein gutes Leben zu führen. Und das gelingt ihr über weite Strecken.