Dawn O’Porter: Papierfliegerworte, Aus dem Englischen von Martina Tichy, Carlsen Verlag, Hamburg 2015, 288 Seiten, €16,99, 978-3-551-58321-5
„Ihr Kummer macht meinen irgendwie weniger isoliert, lässt mich weniger denken, dass nur für mich die Welt untergeht. Sally kennt keinen Kummer und deswegen auch kein Mitleid, und Mädchen wie Carla und Gem haben keine Ahnung, wie es ist, wenn Familien zerbrechen. Renée und ich schon. Wir wissen beide, wie es sich anfühlt, wenn das Schlimmste passiert, was man sich nur vorstellen kann.“
1994: Noch leben die Jugendlichen auf der Kanalinsel Guernsey ohne Smartphone, tausende Freunde auf Facebook oder andere soziale Netzwerke. Florence, kurz Flo genannt, Renée, Sally, Gem und Carla konzentrieren sich in ihrem zehnten Schuljahr an der Mädchenschule Tudor Falls auf die Prüfungen am Ende des Jahres. Erzählt wird die Geschichte der Mädchen aus zwei Erzählpositionen, aus der Sicht von Flo und Renée.
Flo ist eher ein zurückhaltendes Mädchen, sie kümmert sich Zuhause liebevoll um ihre vierjährige Schwester Abi, erträgt die Missachtung des älteren Bruders Julian und der Mutter, die nun wieder arbeiten gehen muss, da sie sich von ihrem Mann getrennt hat. Dieser vegetiert in einem kleinen Häuschen so vor sich hin, hat sich irgendwie aufgegeben, trinkt zu viel und ist sich der Liebe seiner Tochter aber sicher. Flo ist in der Schule mit der herrschsüchtigen und unsensiblen Sally befreundet.
„Beste Freundinnen sein“ gibt den 15-jährigen Mädchen Sicherheit und eine gewisse Stellung innerhalb der Klasse. Renée ergeht es da ganz anders, denn sie ist eher der aufmüpfige Klassenclown ohne eine wirkliche Freundin. Sie hat vor sieben Jahren ihre Mutter verloren und wohnt nun mit ihrer jüngeren Schwester Nell bei ihren Großeltern, Nana und Pop, die nicht erkennen, wie schlecht es den beiden Enkelinnen geht. Pop traktiert die Mädchen mit seinen Launen und Nana schafft es nicht, ein ordentliches Essen zu kochen. Nie wird über die Mutter geredet und schon gar nicht über den Vater, der nun mit einer neuen Familie in Spanien lebt. Renée und Flo fehlt es an Wärme, an Zuneigung oder Wertschätzung. Sie werden herumkommandiert, angefeindet, haben wenig Geld und können sich selbst nicht entfalten. Renée futtert pausenlos Pommes oder Chips, Flo dagegen flüchtet in die Bücher und hofft, durch einen guten Abschluss endlich das Elternhaus verlassen zu können. Wenn Partys sind dann lassen sich die Mädchen gnadenlos volllaufen, obwohl sie nichts vertragen. Auf der Fete von Gem und Carla hilft Renée der völlig zugedröhnten Flo auf die Beine und bringt sie nach Hause ins Bett. Sally kümmert sich nie um die sogenannte Freundin, dabei lässt sie keine Gelegenheit vergehen, um mit dem gutaussehenden, aber oberflächlichen Julian zu sprechen. Renée lernt ihn nun bei Flo kennen und verliebt sich wie alle Mädchen in ihn.
Als Flos Vater plötzlich an einem Herzinfakt stirbt, bricht für das empfindliche Mädchen eine Welt zusammen. Sally ist mit ihren dummen Sprüchen keine Hilfe, nur Renée kann nachempfinden, was in Flo vor sich geht. Immer wieder schreiben sich die Mädchen kleine Zettel, Papierflieger. Flo und Renée, die auch zur Beerdigung geht, kommen sich langsam näher. Allerdings darf die bösartige Sally nichts von dieser Beziehung wissen, denn sie würde auf ihrer Alleinstellung beharren und Flo das Leben und den Schulalltag noch schwerer machen. In der Freundschaft finden die beiden Mädchen das Vertrauen und die Nähe, die sie benötigen. Sie können über alles reden, über ihre Probleme zu Hause, die Schule, Jungs und Sex. Renée jedoch pocht auf Ehrlichkeit und fordert Flo auf, sich endlich zu ihr zu bekennen.
Als Renée Flo zu Hause besucht und diese mit Sally im Kino ist, trifft sie auf Julian und lässt sich mit ihm intim ein. Allerdings versteht sie nicht, dass Julian nie etwas wirklich von ihr wollte. Renée zieht sich zurück und beginnt auch Flo zu ignorieren, die Sally nun endlich die Meinung gesagt hat.
Welchen Wert hat eine enge Freundschaft? Diese Frage spielt Dawn O’Porter, ohne auf den Unterhaltungswert eines Zickenkrieges zu bauen, in ihrem lebensnahen, wie konfliktreichen Jugendroman durch. Die englische Autorin, die selbst früh ihre Mutter verlor und auf Guernsey lebte, las in ihren Tagebüchern und ließ sich für ihre letztendlich fiktive, gut lesbare Geschichte davon inspirieren.
Leicht überzeichnet sind Dawn O’Porters Figuren und trotzdem bieten sie für Leserinnen die Möglichkeit, bei ihrer Suche nach dem Weg erwachsen zu werden sich zu identifizieren.
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