Melanie Raabe: Der längste Schlaf, btb Verlag, München 2024, 352 Seiten, €24,00, 978-3-442-75930-9

„Ich denke an den seltsamen alten Mann, der am Ende gar nicht so seltsam war, jedenfalls kein Stück seltsamer als ich, und mit einem Mal fühle ich sie, die Verbundenheit, von der er mir schrieb. Wie das alles sein kann? Ich werde es wohl nie vollkommen verstehen, und vielleicht ist das okay so.“

Mara Lux arbeitet an einer Londoner Universität als Schlafforscherin und leidet selbst an akuten Schlafproblemen. Sie ist die Ich-Erzählerin in dieser seltsamen Geschichte, in der Träume oder wirre Eingebungen durch Schlafmangel oder Geister eine entscheidende Rolle spielen.
Als Mara vor gut fünfzehn Jahren Deutschland verließ, um in England zu studieren, ahnte sie nicht, dass ihre Angst vor dem gesunden Schlaf und den durchwachten Nächten wiederaufleben würde. Doch nun setzt genau das wieder ein. Mara träumt, als sie endlich mal Schlaf findet, von ihrer Nachbarin, die fliegen kann. Am nächsten Morgen liegt deren Körper vor dem Haus. Sie ist aus dem Fenster gesprungen. Maras Geburtstag naht und damit auch die Erinnerungen an ihre Eltern, die bei einem Unfall zu Tode kamen, als das Mädchen zehn Jahre alt war. Die Ungeheuerlichkeit jedoch bestand damals darin, dass Mara in ihren Träumen diesen Unfalltod der Eltern vorausgesehen hatte. Die Grenze zwischen Träumen und Realität existierte für das Kind Mara nicht. Sie träumte von Geschehnissen, die dann in Kürze eintreten waren. Als ihre Eltern ihr verboten hatten, darüber zu sprechen, hat sich das Kind daran gehalten. Doch beim Unfalltod der Eltern konnte sie nicht schweigen, doch die Eltern ignorierten die Warnung.
Parallel zu Maras Gedankenströmen und Alltagsdarstellungen erfahren die Lesenden von einem Geschwisterpaar. Dem Bruder Kai geschieht etwas Schreckliches und die Schwester Lucy sucht nach Hilfe. Und so verbindet der Roman zwei Handlungsstränge, die zunächst nichts miteinander zu tun zu haben scheinen und dann immer mehr aufeinander zulaufen. Das Geschwisterpaar Lucy und Kai ist in einen Brunnen gefallen, weit ab vom nächsten Ort, sodass sie kein Mensch hören kann. Aber was hat Mara mit Lucy zu tun? Und was bedeuten ihre Voraussagen, die ja gnadenlos eintreten, als wäre Mara die moderne Kassandra?
Als Mara dann einen ungewöhnliche E-Mail von einem Notar erhält und dieser ihr mitteilt, dass sie ein Herrenhaus von Richard Conrad Hallberg in Limmerfeldt als Schenkung annehmen soll, ist sie mehr als überrascht. Zum einen kennt sie den Mann nicht und zum anderen könnte sie das Geld sehr gut brauchen. Um ihren Erscheinungen zu entfliehen, aber auch neugierig geworden, reist sie nach Limmerfeldt und unterzeichnet die Papiere. Am Tag darauf stirbt Hallberg, den Mara angeblich nie gesehen hat. Auch ihre Recherchen bringen sie nicht weiter. Das Herrenhaus mit Garten macht einen imposanten Eindruck, insbesondere ein Raum, in dem Mara wie nie zuvor Glücksgefühle empfindet. Vor Ort lernt Mara den gutaussehenden Matteo kennen, der sie auch gleich zum Essen einlädt. Je länger Mara sich im Herrenhaus und in der Umgebung aufhält, um so seltsamer werden die Begegnungen, insbesondere im Haus, aber auch ihre Empfindungen und Träume. Und dann hört sie von zwei verschwundenen Kindern, die gesucht werden. Und wahrscheinlich kann nur Mara helfen, denn sie ahnt, dass sie das Mädchen bereits gehört hat.

Was können mehrere Tage Schlaflosigkeit im Gehirn eines Menschen auslösen? Warum stimmt es nicht, dass Alkohol beim Einschlafen wirklich hilft? Was ist eine REM – Phase? Und viele weitere, gut recherchierte Infos rund um den Schlaf vermittelt Melanie Raabe ganz nebenbei in ihrer absolut spannenden Geistergeschichte voller seltsamer Ungereimtheiten.