Mareike Krügel: Alle wissen hier alles, Piper Verlag, München 2024, 208 Seiten, €22,00, 978-3-492-06093-6
„Sie war nicht in der Position, mich für mein Leben zu kritisieren, denn was konnte schon jemand gegen meine schlampige Haushaltsführung, meine ungeklärte Ehe, meine sexuellen Schrulligkeiten sagen, der selbst derart ungeschickt gegen einen Schrank namens Dieter fiel?“
Die dreißigjährige, fürsorgliche Martina Voß lebt allein mit ihrer Tochter Annalena im geerbten Haus der Großmutter in Niewohld. Ihr gutmütiger Ex-Mann Carsten schaut immer mal vorbei und füllt den Kühlschrank auf. Die kleine und etwas dralle Martina hält sich mit Putzarbeiten über Wasser und sucht Abenteuer in Sexaffären zum Stressabbau, auch mit dem Bürgermeister. Auch wenn der Dorfklatsch alles weiterträgt, erwischt Frau Bürgermeister Martina und ihren Mann erst im Verlauf der Geschichte.
Als Martina dann die schlanke und attraktive Kasia und ihre Tochter Danuta bei sich im Haus aufnimmt, ist klar, dass Kasias Ehemann Dieter sie offenbar schlägt. Anzeige erstatten will sie nicht und zurück nach Polen schon gar nicht. Annalena und Danuta gehen gemeinsam in den Kindergarten und verstehen sich bestens. Mit allzu viel Alkohol träumen sich die beiden Frauen davon und im Gedankenstrom von Martina tauchen Erinnerungen aus ihrer Kindheit auf und ein Trauma. Sie wurde als sie zwölf Jahre alt war von einem Mann sexuell missbraucht. Nie hat sie ihrer Mutter davon erzählen können, doch hat sie dieses Erlebnis aus der Bahn geworfen.
Kasia lässt sich von Dieter umgarnen und glaubt seinen Beteuerungen. Der Abschied zwischen den Frauen ist dann jedoch sehr aggressiv, insbesondere von Kasias Seite.
Martina muss allein so einiges schlucken, zumal auch noch die Kindergartenleiterin Annalenas fantasievolle Zeichnungen deutet und behauptet, dass sie in ihrem kindlichen Ausdruck auf ihre innere Not hinweisen würde. Dabei träumt sich Annalena allzu gern in die Rolle der Prinzessin. Auch Danuta muss sich peinliche, küchenpsychologische Sprüche von den Erzieherinnen anhören, u.a. solle sie die Zweisprachigkeit unterbinden, denn mit Polnisch könne Danuta sowieso nichts anfangen. Ein Skandal. Kasia jedenfalls kehrt zu Martina zurück und bleibt. Ab diesem Zeitpunkt müssen die Frauen von der Dorfgemeinschaft zu viel ertragen. Woher diese Antipathien gegen die beiden harmlosen Frauen rühren, bleibt im Ungewissen, da alles aus Martinas Sicht erzählt wird.
Martina verliert einen Putzjob nach dem anderen, niemand kommt zum Geburtstag ihres Kindes, der Bruder wird aufgehetzt und will seinen Anteil am Haus und dann stehen sogar zwei Mitarbeiterinnen vom Jugendamt vor der Tür.
Mareike Krügel hat das Dorfleben genau im Blick. Und doch: Alles so machen wie die anderen ist nicht Martinas Sache. An welche Grenzen sie in der Dorfgemeinschaft stößt, wird ihr nun schmerzlich nach und nach bewusst.
Ein schrecklich realistischer Einblick ins Dorfleben, dass ja nun so gepriesen wird und viele Städter, die das Landleben als so romantisch ansehen, sicher wieder in der Wirklichkeit ankommen lässt.