Marc Raabe: Die Nacht, Ullstein Verlag, Berlin 2025, 462 Seiten, €17,99, 978-3-86493-261-8
„Würde er das Gleiche mit den anderen machen wie mit ihr? Die Trommel hatte fünf Kammern. Richard, Sammy, Adi, Lissi und sie. Selbst wenn er nur eine Patrone in die Trommel drücken würde, bei einer Chance von eins zu vier würde es vermutlich mindestens einen von ihnen erwischen. Doch sie traute ihm auch zu, dass er noch weitere Patronen in der Tasche hatte, vermutlich sogar die ganze Schachtel.“
Knallorange leuchtet das Cover dieses atemberaubend spannenden Krimis, der alle Lesenden von Seite eins an in den Bann zieht. Knallorange ist auch die Schachtel mit dem Wolfskopf vor der nicht nur Danas Mutter, sondern auch Dana Angst haben. Holt der gewalttätige Stiefvater Walter die Schachtel, geht es um nichts als die Wahrheit. Er muss niemanden verprügeln, er hält allen nur die Pistole aus der Schachtel an die Schläfe und spielt Russisch Roulette. Auch in dieser einen Nacht vor fünfzehn Jahren, die alles verändern wird, veranstaltet Walter dieses tödliche Glücksspiel auf dem Wohnwagenplatz unweit von Berlin. Eigentlich sollte Dana auf ihren fünfjährigen Halbbruder Rocco aufpassen. Doch sie hatte sich mit ihren Freunden Richard, Sammy, Adi und Lissi verabredet, um im Club Odessa zu feiern. Dana überredete eine Nachbarin ihre Aufgabe zu übernehmen und kehrte in der Nacht völlig betrunken zurück. Allerdings glaubt sie, dass sie von zwei Drinks nicht so unter einem Filmriss leiden würde. Jemand hat ihr etwas ins Getränk getan. Als dann Danas Mutter und Walter zurückkehren, stellen sie fest, dass Rocco verschwunden ist. Eine riesige Suchaktion beginnt und Walter führt seine brutale Befragungsmethode mit den Siebzehnjährigen durch, die für alle traumatisch und tragisch endet.
Fünfzehn Jahre später verschwindet Dana, die ihre achtjährige Tochter Milla bei ihrer dementen Mutter lässt. Ihr Nachbar ist der ziemlich eigenwillige Ermittler Art Mayer, der Lesenden bereits aus den Vorgängerbänden von Marc Raabe bekannt ist. An seiner Seite arbeitet die Kommissaranwärterin Nele Tschaikowski, die Mutter eines nun sieben Monate alten Kindes ist. Gleich zu Beginn streitet sich Nele mit Roman, der sich als Vater kaum engagiert. Als klar wird, dass Art Neles Hilfe braucht, drückt Nele Roman den Sohn entschlossen in die Arme und verabschiedet sich erst mal. Zwar ist sie noch in Elternzeit, aber die Arbeit fehlt ihr doch ungemein. Art will Dana unbedingt für Milla finden, denn er möchte nicht, dass sie wie er in einem Heim oder bei Pflegeeltern landet.
Zeitversetzt erzählt Marc Raabe nun von den Geschehnissen rund um die eine Nacht und die gegenwärtige Suche nach Dana, für die sich die Polizei kaum noch interessiert. Art kann mit seinen Kontakten ganz nach oben eine Wende herbeiführen und durch einen Hinweis stößt er auf die Wohnwagensiedlung, in deren Nähe allerdings ein Feuer ausgebrochen ist. Art und Nele finden in Danas altem Wohnwagen die Leiche von Dr. Richard Dressel, Richter am Kammergericht in Berlin. Was steckt hinter diesem Mord? Sind es Rechtsradikale, die ihn bedroht und ermordet haben? Als dann unweit von der Wohnwagensiedlung durch den Brand und einen starken Regen auch noch menschliche Knochen von drei Personen zu Tage treten und später dann noch eine Frauenleiche gerät die Geschichte in ein ganz neues Fahrwasser. Was haben die einstigen Bewohner der Wohnwagensiedlung, denen rechte Gesinnung nicht fremd war, mit Leuten zu tun, die in Schwanenwerder und somit in einem sozial und gesellschaftlich ganz anderen Millieu verkehren? Geschickt verknüpft Marc Raabe mehrere Mord- und unterschiedliche Vermisstenfälle mit vielen Protagonisten auf Seiten der Verdächtigen, aber auch der Polizei zu einer spannenden Handlung. Wer sind die unbekannten Toten? Warum wurde der kleine Rocco nie gefunden? Wie kann es sein, dass der unberechenbare wie brutale Stiefvater von Dana ein V-Mann des Verfassungsschutzes war? Und dann geht es auch noch um ein Kompetenzgerangel zwischen LKA und BKA, mit gutem Grund.
Wer aufregende Thriller mit Tiefgang, gutem Plot und renitenten Ermittlern bevorzugt, sollte die Pageturner von Marc Raabe nicht verpassen.