Regina Scheer: Machandel, Knaus Verlag, München 2014, 480 Seiten, €22,99, 978-3-8135-0640-2
„Aber man kann nicht von einem Leben ins andere springen, das habe ich auch erfahren, man nimmt das andere Leben immer mit, und das Vergangene ist nicht vergangen.“
Machandel heißt der fiktive Ort in einer dünn besiedelten Gegend in der Nähe von Güstrow. Machandel heißt aber auch Wacholderstrauch und erinnert an ein Märchen von den Gebrüdern Grimm. Laut dem Volksglauben leben in den Zweigen des Machandelbaumes die Seelen der Toten. Weit und naturbelassen ist die einmalige Landschaft in Mecklenburg. Clara und Michael müssen gar nicht lang überlegen, ob sie an diesem Ort ein Sommerhäuschen, eher einen Katen mieten und später kaufen werden. Zwar gibt es keinen Strom und auch das Wasser muss in das älteste Haus am Ort getragen werden, aber schnell wird klar, Machandel wird ein Zufluchtspunkt für die Familie, die in Berlin lebt.
Fünf Personen, Clara, Hans, Natalja, Herbert und Emma, erzählen aus ihrer Perspektive und zeitversetzt von den Geschehnissen in ihrem Leben. Alle fünf kennen einander, sind mit Machandel mehr oder weniger eng verbunden und doch läuft vieles hier zusammen. Diese Erinnerungen reichen bei Hans, dem Jungkommunisten, Emma, der jungen Frau aus Hamburg, die durch die Kriegswirren in Machandel strandet und Natalja, der jungen Waisen und Fremdarbeiterin aus Smolensk, bis ins Dritte Reich zurück.
1985 verabschiedet sich Clara von ihrem vierzehn Jahre jüngeren Bruder Jan. Er verlässt die DDR nach Gefängnisaufenhalten und Auseinandersetzungen mit seinem parteitreuen Funktionärsvater Hans Langner. Von der Staatssicherheit ebenfalls ins Visier genommen und beruflich kaltgestellt ist Herbert, der beste Freund von Jan. Clara wird sich um seine verstörten Kinder kümmern als Herbert und seine Frau inhaftiert werden. Da ist ihre Ehe mit dem opportunistischen Michael bereits auf einem Tiefpunkt.
Als Clara in ihrem Katen in Machandel das Fotoalbum der einstigen Bewohner findet, lernt sie das Schicksal von Marlene und ihrer Familie kennen. Natalja wird sich an sie als Freundin erinnern und Emma, die sich um ihre vielen Geschwister kümmerte und später Marlenes Vater heiratete.
Schicksalsschläge, Krisen und Verstrickungen häufen sich durch die Erzählenden zu einem riesigen Berg an Geschichten an, der sorgsam abgetragen wird.
Nach und nach entstehen Biografien, die eingebunden sind in den realen Geschichtsverlauf, aber geprägt wurden von Desillusionierung, Rechtlosigkeit oder ständigem Weitermachen ohne Rückschau oder Bedauern. Erst am Ende seines Lebens wird der Parteifunktionär Hans, der als politischer Häftling in Konzentrationslagern saß und den Todesmarsch überlebte, um in Machandel zu landen, an seinen Freund und Mithäftling Karel denken, der nach dem Krieg von den eigenen Genossen hingerichtet wurde. Auch Hans hatte 1952 ein Parteiverfahren am Hals. Bitter sind die Erinnerungen an den sozialistischen Aufbau, den besseren deutschen Staat, die Privilegien und Verluste.
Clara, seine Tocher, engagiert sich im Pankower Kirchenkreis, erlebt den Fall der Mauer und erzählt von ihrem privaten wie beruflichen Neuanfang nach der Wende.
Machandel verändert sich mit den neuen Verhältnissen, aber es bleibt nicht mehr der Ort, den Clara einst gefunden hatte.
Bei der Lektüre dieses Romans wird der Leser unmerklich in diesen komplexen Kokon Familie mit eingesponnen. Regina Scheer betont, dass ihre Geschichten keinen autobiografischen Hintergrund haben und doch weiß der Leser, dass die Berlinerin auf ihre Erfahrungen, Erinnerungen und Gefühle zurückgreift, um realitätsnah über fiktive und eventuell doch wahre Ereignisse zu schreiben.
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