Jonathan Stroud: Lockwood & Co. – Die Seufzende Wendeltreppe, Aus dem Englischen von Katharina Orgaß und Gerald Jung, cbj, München 2013, 413 Seiten, €18,99, 978-3-570-15617-9

„Manche Leute behaupten, das Problem habe es schon immer gegeben. Geister seien nichts Neues, meinen sie, und sie hätten sich zu allen Zeiten gleich aufgeführt.“

Es ist schon nervig, entstellte Tote wachen gegen Mitternacht auf und belästigen die Bewohner der Britischen Insel und das nun schon seit Jahrzehnten. Einige sind einfach nur kleine Plagegeister, andere jedoch können extrem aggressiv und gefährlich werden. Das ist nicht nur schlecht für die Wirtschaft, sondern auch für die allgemeine, moralische Stimmung in der Bevölkerung. Nur die Industrie, die sich mit der Bekämpfung der Geister befasst, erlebt einen ungeahnten Aufschwung, denn jeder will nun unbedingt sein Haus oder seine Wohnung mit Schutzamuletten, Eisenriegel, Edelmetallen, Salzen und anderen Sicherheitsvorkehrungen ausstatten.

Agenturen schießen wie Pilze aus dem Boden, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, als Geisterjäger Häuser und Wohnstätten von den eher harmlosen Geistern Typ Eins oder den gefährlichen Poltergeistern Typ Zwei oder den extrem seltenen Wandlern zu befreien. Interessant ist jedoch, dass die aktiven Mitarbeiter der Agenturen eher Kinder oder Jugendliche sind, denn Erwachsene verlieren im Laufe der Jahre ihr Gespür für die Aura eines Geistes. So arbeiten die Agenturen mit Kindern und erwachsenen Beratern. Aber nicht alle.

Lucy Joan Carlyle hat ihr Handwerk von der Pike auf gelernt. Als jüngste Tochter einer kinderreichen Familie ging Lucy mit acht Jahren von der Schule ab und zu Mr Jacobs. Ihre Gabe, das Jammern, Klopfen, Flüstern oder gar Schreien der Geister zu hören, hat ihr bereits in jungen Jahren geholfen. Geisterjäger sind mit Degen und Eisenketten bewaffnet. Sie leben gefährlich und oftmals ereilt sie durch eine Unachtsamkeit oder Unwissenheit der frühe Tod durch die Geistersieche, die Umarmung eines Untoten. Die Berührung mit den überirdischen Wesen führt unweigerlich zu schweren Verletzungen. Dabei geht es bei der Geistersuche hoch her. Eisenspäne werden zu Schutzkreisen ausgelegt, es knallt und pufft, wenn die Griechischen Feuer losgehen und im unglücklichen Fall alles abfackeln. Wabernde Schatten verwandeln sich binnen kurzem in tödliche Plasmanebel, Geister umgeben sich mit einem Eishauch, sie hinterlassen einen Todesschein oder höchst ungute Gefühle. Komisch ist, dass die Geister, die aus welchen Gründen auch immer Jahrzehnte oder Jahrhunderte später in den Häusern, Bäumen, Ställen oder Wohnungen auftauchen, freundlich als Besucher bezeichnet werden. Wenn Gebäude von Geistern heimgesucht werden, müssen sie ausgetrieben werden und hier kommen die Agenturen ins Spiel.

Lucy, sie ist auch die Erzählerin dieser unheilvollen Geschichte, geriet mit Mr Jacobs, dessen Nervenkostüm im Laufe der Jahre gelitten hat, während ihrer Arbeit in eine brenzlige Situation. Sie streicht die Segel und versucht ihr Glück in London, bei Lockwood & Co. Anthony Lockwood und sein Mitarbeiter, der äußerlich schlamperte, aber eigentlich sehr genaue Rechercheur George Cubbins arbeiten in ihrer kleinen Firma als Jugendliche ohne erwachsenen Berater.

Lucy kann die beiden Jungen mit ihren Fähigkeiten überzeugen und los geht die Arbeit der drei, die zu Beginn nicht gerade von Erfolg gekrönt ist. Durch den unachtsamen Umgang mit Leuchtbomben bei einem ihrer Einsätze haben die drei, Lockwood musste wiedermal vorpreschen, ein Haus abgebrannt. Aus unerklärlichen Gründen ist der Hausherr der Familie Hope zu Tode gekommen. Lockwood und seine Mitarbeiter entdecken im Haus eine entstellte Frau, die als boshafter Geist, Mr Hope die Treppe hinunter gestoßen haben muss. Lucy nimmt die Goldkette der Geisterfrau an sich und verursacht dadurch diverse Komplikationen. Die BEBÜP – Behörde zur Erforschung und Bekämpfung Übersinnlicher Phänomene – bedroht die Agentur Lockwood mit Schließung, da sie keinen erwachsenen Berater beschäftigen und sie brummen im Namen der Familie Hope Lockwood eine hohe Entschädigungssumme auf.

George findet heraus, dass die Tote im Hause Hope vor gut 49 Jahren ermordet wurde und Annabel Ward heißt. Ihre Leiche wurde nie gefunden und dem damals Verdächtigen, der sie an dem bewussten Abend nach Hause gebracht hatte, konnte nichts nachgewiesen werden. Lockwood und seine Mitarbeiter wissen, zum einen müssen sie das Geld zusammenbringen, um die Hopes zu entschädigen, zum anderen an ihrem guten Ruf arbeiten. Als dann einer der reichsten Männer Englands, der Firmeninhaber Fairfax, ihnen ein lukratives Angebot unterbreitet, können sie nicht ablehnen. Lucy und auch Lockwood ahnen, dass hinter diesem Auftrag mehr steckt als nur eine gewöhnliche Geisterjagd. Und sie werden Recht behalten.

In der Menge der Fantasybücher, die den Büchermarkt überschwemmen, ist es äußerst schwierig eine originelle Grundidee für einen Fantasy-Mehrteiler auch noch literarisch anspruchsvoll umzusetzen. Der englische Jugendbuchautor Jonathan Stroud hatte das mit seinen „Bartimäus“-Romanen bravourös und vor allem mit Humor gemeistert. Auch Bartimäus ist ein Geisterwesen, allerdings gut 5000 Jahre jung. Draufgängerisch und schnoddrig laviert sich der freche Dämon durch die in der Gegenwart angelegte Geschichte voller mieser Zauberer und noch schrecklicherer Geister. Keine Frage, es ist ein schwieriges Unterfangen und Erbe nach Bartimäus wieder eine wirklich originelle Fantasygeschichte zu schreiben.

Jonathan Stroud spielt in seinem neuen Werk mit Gruseleffekten, den ruhelosen Seelen Verstorbener und vor allem der Tradition der englischen Hausgeister. Er versucht mit starken jungen Figuren, die alle charakterlich sehr unterschiedlich sind und sich in ungewöhnlich risikoreichen wie nervenaufreibenden Lebenssituationen beweisen müssen, den Leser zu fesseln. Dabei erzählt der sympathische Autor aufwühlende Geisterjägergeschichten und neben den Gruselmomenten, z.B. der jammernden Wendeltreppe oder den Schrecken im Roten Zimmer, wird auch gleich noch ein historischer Kriminalfall gelöst. Der Humor, der ab und zum Galgenhumor wird, kommt nicht zu kurz. Gut ist, dass die Fälle, mit denen sich die Agenturmitarbeiter befassen, im ersten Band auch gelöst werden. Dabei bleibt vieles, was ist z.B. mit Lockwoods Eltern geschehen, noch offen und man darf, wenn man gern beim Lesen eine Gänsehaut bekommt, auf den nächsten Band gespannt sein