Susin Nielsen: Lieber George Clooney, bitte heirate meine Mutter, Aus dem Englischen von Brigitte Jakobeit, Carlsen Verlag, Hamburg 2013, 204 Seiten, €13,00, 978-3-551-58300-0
„Als ich sie festhielt, merkte ich, dass ich weinte, weil ich mich für das schämte, was ich diesen beiden kleinen Mädchen angetan hatte, deren einziges Verbrechen darin bestand, dass sie existierten.“
Wenn Eltern sich aus der Sicht der Kinder ohne lange Streitphasen und riesige Familienkatastrophen plötzlich trennen, dann ist das für alle Seiten schwierig. Die 12-jährige Violet hofft, dass ihr Vater so schnell wie er gegangen, auch wieder zurückkehren wird. Sie kann nicht nachvollziehen, warum er, der für sie Geschichten erfunden hat und mit dem sie so eng verbunden war, sich eine neue, jüngere Frau gesucht hat und nun von Vancouver auch noch nach Los Angeles gezogen ist. Als Regisseur scheint er gut zu verdienen, denn er lebt mit seiner zweiten Frau Jennica und den zweijährigen Zwillingen in einem riesigen Haus mit Swimmingpool und Kindermädchen. Violet und ihre Schwester Rosie dagegen wohnen weiterhin in ihrem langsam dahinbröckelnden Haus mit der kaputten Klingel, dem alten Sofa im Vorgarten, das schon längst auf der Müllkippe sein sollte und der Rosslaube, die die Mutter fahren muss. Die fünfjährige Rosie macht wieder Nacht für Nacht ins Bett und in Violet hat sich enorm viel Wut auf ihren Vater und vor allem auf diese zweite Frau und die Halbschwestern angestaut. Um sich zu beruhigen und ihr inneres Gleichgewicht wieder herzustellen, hat sie sich angewöhnt, Dinge nach Größen oder Farben zu sortieren.
Da Violets Mutter wieder als Haarstylistin arbeiten muss, hat sie wenig Zeit für die Mädchen und das Haus. So übernimmt Violet das Aufwärmen der Tiefkühlsachen, kümmert sich um Rosie und bringt sie abends ins Bett.
Auf der Suche nach dem Glück und einem neuen Mann ist Violets Mutter nicht wählerisch. Sie zieht sich wie ein junges Mädchen, in Violets Augen ziemlich peinlich, an und hört auf ihre Freundinnen, die schrille Karen und die freundliche Amanda.
Violet kann gar nicht anders, sie sinnt auf Rache während ihres Aufenthaltes beim nun verhassten Vater. Allerdings sucht sie sich die völlig falschen Opfer aus. Im Sandkasten finden die Zwillinge Katzenkacke und Violet redet ihnen ein, es sei Schokolade, die der Weihnachtsmann vergessen hat.
Nach dieser Geschichte gerät das Verhältnis zwischen Violet und ihrem Vater in eine erhebliche Schieflage. Sie will sich nicht entschuldigen und mit ihm reden schon gar nicht.
Außerdem muss sich Violet um ihre Mutter kümmern, denn sie hat schon wieder so einen Loser nach Hause gebracht. Dudley Wiener ist ein gutmütiger Mann, den die Natur nicht gerade mit Schönheit gesegnet hat, aber er betreibt sein eigenes Geschäft. Die selbstbewusste Violet unterzieht ihn einer strengen Befragung, die er mit Großmut über sich ergehen lässt. Wo sind seine Leichen im Keller? Alle Männer ihrer Mutter hatten enorme Schwachstellen. Sie haben sie betrogen, waren Schläger oder Alkoholiker.
Weil Violets Mutter vor Jahren George Clooneys Haare vor einem Dreh frisieren durfte und sie im Besitz einer doch sehr persönlichen Autogrammkarte ist, hofft die naive Violet, sie könne ihn mit ihrer Mutter verkuppeln. In ihrem ellenlangen Brief an Mr Clooney schreibt sie sich all ihren Kummer von der Seele. Eine richtige Antwort erhält sie jedoch nie.
Mit ihrer besten Freundin Phoebe und Jean-Paul, der sich offensichtlich für sie interessiert, spioniert Violet Dudley Wiener hinterher. Sie entdeckt jedoch keine Schwachstellen, bis zu dem Augenblick, wo Jean-Paul eine Telefonat belauscht.
Violet scheut nicht davor zurück, den untersetzen und schlecht angezogenen Dudley Wiener anzuschwärzen, um dabei in ein großes Fettnäpfchen zu treten. Sie hofft, wenn sie in Los Angeles ist, dafür entschuldigt sie sich auch gegen all ihre Vorsätze kurzerhand bei Jennica und ihrem Vater, endlich persönlichen Kontakt zu George Clooney aufzunehmen, der sich gerade für Dreharbeiten auf dem gleichen Gelände wie ihr Vater aufhält, der einen Pilotfilm für eine Serie dreht.
Aber nichts wird so ausgehen, wie es sich Violet erhofft hat, denn das wahre Leben muss ohne Leinwandhelden auskommen.
Susin Nielsen, eine erfahrene amerikanische Drehbuchautorin, hat einen schwungvollen, kurzweiligen, sehr realistischen Roman mit einer starken Hauptfigur geschrieben, die sich nicht so leicht unterkriegen lässt. Alle Konflikte, die Violet so freimütig und offen mit ihrer alten und neuen Familie, der Freundin und den verhassten Mitschülerinnen austrägt, sind für den Leser absolut nachvollziehbar. Violet erhofft sich eine heile Familie. Die Konfrontation mit den neuen Männern, mit denen ihre Mutter ausgeht, sind nur ein Problem, mit dem die beiden Schwestern fertig werden müssen. Violet wünscht sich alles Glück für ihre Mutter, ohne wirklich sehen zu können, dass sie dafür selbst sorgen muss.
Violet jedenfalls erkennt auf ihrem Weg zum Erwachsenwerden, vor Enttäuschungen kann man sich nicht schützen. Sie muss Gefühle zulassen, Erfahrungen jeder Art sammeln und Menschen Vertrauen schenken, ob es sich nun um Dudley Wiener, ihren Vater oder Jean-Paul, den sie wirklich mag, handelt.
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