Sigrid Zeevaert: Liebe, liebe Fanni, Gerstenberg Verlag, Hildesheim 2013, 155 Seiten, €12,95, 978-3-8369-5719-9

„Ich wünschte, ich hätte auch eine Schwester.“

Nina hat beschlossen, Tagebuch zu führen, denn sie fühlt sich in den Ferien bei ihrer Tante Anne, der Schwester ihrer Mutter, zwar wohl, aber sie hat auch ein bisschen Langeweile. Ninas Mutter absolviert einen Yogakurs irgendwo in den Bergen und Nina muss sich nun mit Piet, ihrem fast gleichaltrigen Cousin abgeben, der eigentlich nur einen Bogen um sie herum macht und nichts mit ihr unternehmen will.

Auf dem Dachboden des Hauses findet das neugierige Mädchen einen Koffer mit Aufzeichnungen, Briefen, einer Kette und Ringen von einer gewissen Fanni Hellmann. In ihrem Tagebuch erzählt Nina von ihrem Fund und den Briefen an Fanni, die offensichtlich zum damaligen Zeitpunkt ein siebenjähriges Kind ist.

Fannis Geschichte wird abgesetzt durch eine neue Schrift und aus dem Blickwinkel des Mädchens erzählt.

Es ist Krieg, 1942. Fanni reist allein von Köln aus ins kleine Dorf Allenstein nach Ostpreußen. Die Mutter arbeitet in der Fabrik, der Vater wurde als Soldat eingezogen, wird später vermisst und der Bruder befindet sich mit der Klasse in Bayern. Auf dem Bauernhof in der Ferne geht es Fanni äußerlich betrachtet gut und doch kann sie die Trennung von der Mutter nicht verkraften. Auch wenn Fanni jetzt zu essen hat, und Freude an den Pferden, Gänsen, Kaninchen und Schweinen auf dem Hof empfindet, macht sie jede Nacht ins Bett. Sie versucht aus Scham alles vor der Bäuerin zu vertuschen, wird aber doch entdeckt und bestraft. Sehnsüchtig wartet das an Heimweh leidende Kind auf Post von zu Hause.

Nina liest die Briefe vom Vater und von der Mutter an Fanni und verspürt etwas Neid über die innige Zuneigung dieser Menschen zueinander in schweren Zeiten.

Ihr Vater reist durch die Welt und lässt sich, von der Mutter geschieden, ab und zu mal blicken. Der neue Freund der Mutter, und das beschäftigt Nina, wird demnächst bei ihnen einziehen, ein Gedanke, der Nina gar nicht gefällt.

Am liebsten mag Fanni den Fremdarbeiter Lucien, der auf dem Hof als Gefangener arbeitet. Fanni, indoktriniert von der nationalsozialistischen Ideologie, kann nicht verstehen, warum Lucien ein Feind ist. Als sie einen herumirrenden Jungen im Wald entdeckt, vermutet sie, dass er Jude ist. Hin- und hergerissen bringt sie ihm Brot, obwohl in der Dorfschule gegen die Juden gehetzt wird.

Nina erzählt Anne vom Koffer und sie beginnt, nach Fanni zu suchen. Nach und nach setzt sich ein Bild vom Leben der beiden Mädchen in unterschiedlichen Zeiten zusammen.
Fanni erlebt den schrecklichen Moment, wo die Bauernfamilie vom Tod des Sohnes Heinrich erfährt. Sie kehrt nach Köln zur kranken Mutter zurück, wird bei einem Bombenangriff beinahe verschüttet, verliert die Mutter und landet wieder bei fremden Menschen und muss zu diesem Zeitpunkt irgendwann den Koffer vergessen haben.

Nina verfolgt Fannis Wege in der Fremde und kommt ihr durch die persönlichen Aufzeichnungen doch sehr nahe. Der Leser wird mit weiteren Informationen über Fannis Schicksal versorgt, wird aber nie alles in Gänze erfahren. Offen bleibt auch der Konflikt, den Ninas Mutter und ihre Schwester miteinander auszutragen hatten. Manches kann man einfach nicht erklären.

Sigrid Zeevaert fühlt sich in ihre beiden Hauptfiguren ein und betrachtet sensibel zwei Schicksale von innen heraus. Auch wenn die Autorin die Geschichte aus der Perspektive der Mädchen erzählt und aus ihren Denkstrukturen entwickelt, verfällt sie nie in einen kindlichen Ton. Nina und Fanni reflektieren die Geschehnisse ihrem Alter entsprechend und somit für den jungen Leser gut nachvollziehbar, besonders dann, wenn es um die Schilderung der Hitlerzeit geht.