Ulrike Renk: Liebe ist keine Primzahl, Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag, Berlin 2014, 306 Seiten, €14,95, 978-3-86265-345-4
„Zahlen sind vollkommen, perfekt, merkwürdig und auch erhaben.“
Nessie, Vanessa, lebt mit ihrem Vater seit ihrem Umzug aus Berlin in Krefeld im Haus ihrer Familie, bei Oma Inge. Sie hat eine beste Freundin, Kim, und ist mit ihren 14 Jahren ein echter Teenager – sorglos, umsorgt und vor allem verliebt in den gutaussehenden Lucas.
Ein belastendes Geheimnis jedoch hütet sie. Kim glaubt, Nessies Mutter ist tot. Aber das ist nur ihre Annahme. Nessie wagt es nicht, Kim zu sagen, dass ihre schizophrene Mutter in Behandlung ist. Alle Erinnerungen an die Mutter sind von traumatischen Erlebnissen überschattet, an Selbstmorde und Verzweiflung. Nessie hasst es, wenn sie nach Berlin fahren muss, um die Mutter zu sehen.
Nessie ist ein Mathefreak, sie rechnet pausenlos, ordnet die Zahlen, die ihr begegnen, rechnet Stunden in Minuten um und ordnet sich so ihre Welt.
Auch wenn Finn, ihr Klassenkamerad, irgendwie wie von Gestern aussieht, mit seiner großen Familie aber sehr umweltbewusst lebt, beginnt sie mit ihm das Matheprojekt, denn sie ist die einzige, die mit Finn etwas Interessantes auf die Beine stellen kann. Mit Finn kann sich Nessie entspannen, bei Lucas hat sie sofort einen roten Kopf und weiß nie, was sie sagen soll.
Als klar wird, dass sich Kims Mutter, Maria, in Nessies Vater verliebt hat und beide zusammensein wollen, entstehen erste Spannungen zwischen den guten Freundinnen.
Maria hat wenig Geld, immer muss Kim zurückstecken und dann wird auch noch das Haus von Maria saniert, das bedeutet eine höhere Miete.
Ohne Nessie zu fragen, beschließen Nessies Vater, Maria und auch Kim weiß Bescheid, dass sie alle zusammenwohnen werden. Nessie ist auf 180 und kann ihre Eifersucht und Abneigung gegen Maria, die sie sonst eigentlich mochte, nicht mehr verbergen. Unschöne Szenen spielen sich ab und alles scheint irgendwie auf Katastophe zuzusteuern.
Ulrike Renk ist ganz nah an ihren Figuren, da wird gechattet, per Facebook kommuniziert, eine SMS nach der anderen verschickt und viel geredet. Die Autorin beschreibt aus Nessies Sicht jede Kleinigkeit in Nessies Teenager-Alltag und ihre Zahlenmanie. An Nessies Seite erlebt die Leserin ( oder etwas unwahrscheinlich, der Leser ) alles mit, wie die pupertäre, ziemlich verwöhnte Nessie empfindet, was sie denkt, welche Musik sie mag. Dialogreich und detailgenau folgt eine Alltagsszene der anderen, aber über die wirklich wichtigen Dinge wird kaum ein Wort zwischen den Protagonisten verloren.
Allerdings kneift die Autorin, wenn es um die Begegnung der Hauptfigur mit der so zerrissenen, wie kranken Mutter geht. Diesen tiefsten Konflikt in Nessies jungem Leben, den sie ständig verdrängt, schiebt auch die Autorin beiseite und verliert sich im Zickenkrieg, in Knutschszenen oder ziemlich konstruierten Auseinandersetzungen, die nicht erklärbar sind. Warum kann der Vater, der ein gutes Verhältnis zu seiner Tochter hat, nicht mit ihr über seine Familienpläne sprechen? Wie kann es sein, dass auch die anderen nicht verstehen, dass man eine 14-Jährige nicht vor vollendete Tatsachen stellen kann? Welche tiefere Funktion bei aller Unterhaltung sollen die ständigen Zahlenlitaneien? Die Banalitäten des Alltags verdrängen den vielversprechenden Anfangs dieses realistischen Romans trotz „Herzklopfen“– Motto, der wirklich auch in der Konstellation der Figuren zueinander mehr Tiefe verdient hätte.
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