Liane Moriarty: Vorsehung, Aus dem Englischen von Alice Jakubeit, Droemer Verlag, München 2025, 511 Seiten, €23,00, 978-3-426-56279-6
„Wir alle stellen uns schreckliche Dinge vor. Es ist eine Möglichkeit, uns vorzubereiten oder uns zu schützen: Wenn ich es mir vorstelle, passiert es sicher nicht. Aber so ist das mit dem Leben: Sowohl die kühnsten Träume als auch die schlimmsten Albträume können wahr werden.“
Wenn man heute die Nachricht erhalten würde, dass man nur noch kurze Zeit zu leben hat, gerät man in einen Gewissenskonflikt. Ist die Nachricht von einem Arzt, kann man eine zweite Meinung einholen. Ist die Information jedoch von einer Hellseherin, besteht die Möglichkeit, dass man alles abwiegelt, da man nicht an Wahrsagerinnen glaubt. Und doch, ein Restzweifel, eine Verunsicherung, ob man nun will oder nicht, bleibt. Was ist, wenn sie mit ihrer Prophezeiung richtig gelegen hat und man nun seine kostbare Lebenszeit einfach so verplempert? Doch ändert man sein Leben, nur weil eine wildfremde Frau etwas behauptet hat, was stimmen kann, aber nicht muss? Vor diesem Dilemma stehen die Passagiere des verspäteten Flugs von Hobart nach Sydney. Alle sind extrem genervt, denn die zwei Stunden verlorene Zeit haben Folgen. So kann Leopold Vodnik nicht an der Schulaufführung seiner Tochter teilnehmen. Und dann ist da dieses permanent schreiende Baby, dass die Mutter einfach nicht beruhigen kann. Einige Leute beginnen sich zu unterhalten, andere starren nur auf ihre Smartphones. Sie bemerken nicht, dass eine ältere Frau durch die Reihen geht und damit beginnt, jeder Person im Flugzeug ihren Todeszeitpunkt sowie die Todesursache zu nennen, an der sie sterben wird. Zu Beginn nimmt das niemand ernst. Doch im Laufe der Prophezeiungen rufen die Passagiere nach der Flugbegleiterin, um die sich absolut nüchtern verhaltende „Todesdame“ zu stoppen. Vielen wird gesagt, dass sie über neunzig Jahre alt werden, bei anderen jedoch klingen die Vorhersehungen dramatisch. So behauptet die Dame, dass Leopold nicht mal ein Jahr zu leben hat und als Bauingenieur auf der Baustelle zu Tode kommt. Sie sagt, dass die dreiundsechzigjährige Sue O’Sullivan, die als Pflegekraft in der Notfallambulanz hart gearbeitet hat, in drei Jahren, zu Beginn ihrer Rente, sterben wird. Paulas schreiendes Baby Timmy kommt mit sieben Jahren bei einem Schwimmunfall ums Leben. Dem Hochzeitspaar Eve und Dom wird vorhergesagt, dass Eve nicht weniger als in einem Jahr von ihrem Intimpartner getötet wird. Und Allegra Patel, die Flugbegleiterin, stirbt angeblich noch in diesem Jahr an einer Selbstverletzung.
Liane Moriarty lässt nun ihre zahlreichen Figuren ( Das Buch hat immerhin mehr als 500 Seiten.) über die verkündeten Vorsehungen über Wochen nach dem Flug nachdenken. Niemand kann sich dazu durchringen, die Ansagen einfach zu ignorieren. Ob nun natürlicher Tod oder Verbrechen, alle umkreisen ihre Prophezeiungen. Neve, Leopolds Frau, bittet ihren Mann ein Jahr nicht zu arbeiten, was sich die Familie aber gar nicht leisten kann. Sue begibt sich in die Hände von mehreren Ärzten, wobei sie dazu überredet werden muss. Alle stellen keine Anzeichen von Krebs fest, bis sie beruhigt ist und dann plötzlich doch Unterleibsschmerzen bekommt.
Parallel zu den Passagieren und ihre Lebensentscheidungen nach dem Flug wird vom Leben der „Todesdame“, die Cherry heißt, berichtet. War ihre Mutter einst eine bekannte Wahrsagerin, so liegen Cherrys Fähigkeiten eher im Bereich der Mathematik.
Als dann in kürzester Zeit die Vorsehungen eintreten und alle das Video sehen, in dem Kayla den prophezeiten Autounfall mit neunzehn Jahren nicht überlebt, obwohl sie total langsam gefahren ist, beginnen die Passagiere einander zu suchen, um Informationen auszutauschen. Und sie wollen unbedingt mit Cherry in Kontakt treten. Einige beginnen wirklich ihr Leben von Grund auf zu ändern, insbesondere wenn sie nur noch eine kurze Zeit haben, andere werden zu Hypochondern und untersagen sich jede Lebensfreude, andere wiederum sorgen für Vorsichtsmaßnahmen. So meldet Paula ihren Sohn Timmy zum Babyschwimmen an. Der Junge kann eher schwimmen als laufen.
Vielleicht ist die Handlung mit all ihren detaillierten Ausführungen etwas zu lang geraten, doch unterhaltsam geschrieben, fragen sich die Lesenden, was aus den Menschen wird, die nun mit sich und dem Gesagten, dass niemand, auch die Dame nicht zurücknimmt, leben müssen. Handeln sie oder geben sie sich dem Schicksal, dem angeblich doch niemand entkommen kann, einfach hin?
Keine Frage, Liane Moriarty ist eine begnadete Plotterin, deren bisherige Bücher bei HBO als Serien ihren Platz gefunden haben. Auch diese Geschichte mit einem Tableau an unterschiedlichen Protagonisten aus allen Schichten der Gesellschaft eignet sich phantastisch für einen spannenden Serienmarathon.
Wer nun an Wahrsagerinnen glaubt oder auch nicht, dieser Roman umkreist das Leben in all seinen Facetten und das Schicksal, dem wirklich niemand entkommen kann. Zum Glück haben Lesende keine Ahnung, was kommt!