Mireille Zindel: Kreuzfahrt, Verlag Kein & Aber, Zürich 2016, 288 Seiten, €19,90, 978-3-0369-5737-1

„Wieso konnte ich es nicht als körperliche Anziehung sehen? Zwei Menschen langweilen sich in ihrer Ehe – das kommt vor – , und zur Abwechslung treffen sie jemand anderen. Aber nein, ich musste an eine einzigartige Begegnung glauben, in jeder Berührung einen magischen Moment, eine tiefe Verbindung zu dir spüren.“

Meret schreibt an Jan, ihren heimlichen Geliebten, den sie längst verloren hat, denn er kann sich nach einem schweren Unfall nicht mehr an sie erinnern. Als Meret mit ihrem Mann Dres in Italien Urlaub macht, überkommt sie der Wunsch, ihre zwei kleinen Jungen und ihren Mann mal für eine Weile allein zu lassen.

„Früher hatte das Leben so viele Möglichkeiten. Dann schließt man das Studium ab, beginnt zu arbeiten, hat Familie, und plötzlich ist man auf dieser Autobahn für die nächsten 25 Jahre. Nicht dass ich Angst hätte, dass ich diese Jahre abstrampeln würde, aber Gedanken macht man sich schon.“

Meret setzt sich auf eine Terrasse und lernt Jan kennen, auch er benötigte eine Familienpause. Zwischen beiden scheint es irgendwie zu funken. Aber da steht schon Romy, Jans Frau, mit den Kindern neben Jan. Meret entdeckt, dass sie Romy bereits kennt. Beider Wohnungen liegen in Zürich nur ein paar Straßen auseinander. Alle sehen sich nach dem Urlaub wieder und Jans Familie zieht sogar in das Haus von Meret.

Merets Ehe mit dem schweigsamen Dres ist nicht mehr aufregend, beide haben getrennte Schlafzimmer, wie auch Romy und Jan.

Meret, die mit ihren vierzig Jahren an einem Scheidepunkt steht, spricht Jan in ihrem Aufzeichnungen immer wieder an, als würde sie mit ihm in Zwiesprache treten. Romy und Meret sehen sich ziemlich oft, zum einen durch die Kinder, zum anderen treffen sie sich auch in Cafés. Dabei mag Meret die esoterisch angehauchte überaktive Romy nicht sonderlich, zumal Romy ihr sogar ihren Mann anbietet.

Es dauert doch eine ganze Weile, ehe Meret und Jan sich finden. Seltsam unbeteiligt wirkt Jan seiner eigenen Familie, seinen Söhnen gegenüber. Er ist beruflich viel auf Reisen und investiert viel Zeit in seine Marathonläufe. Romy hingegen reist sehr oft zu ihrer Familie nach Schweden. Um sich lebendig zu fühlen, betont Romy ständig ihre verschiedenen Wohnorte in ihrem Blog und ihre Beziehung zu Engeln. Der neueste Plan ist der Umzug nach New York.
Meret betrachtet Romys Aktivismus mit Distanz. Niemand bemerkt, dass sich zwischen Meret und Jan, die gemeinsame Wochenenden in Paris oder Mailand verbringen, eine Beziehung anbahnt. Im Überschwang der Gefühle will Meret sogar eine Entscheidung von Jan, zu der es nicht mehr kommt, denn der Unfall beendet die Affäre.
Parallel erzählt Meret die Geschichte einer älteren allein reisenden Frau, die sich auf der Kreuzfahrt befindet und plötzlich für einen jungen Offizier attraktiv wird. Gut verheiratet gönnt sie sich die Affäre und legt doch mit der Zeit mehr in sie hinein als sie sich eigentlich zugesteht.
Finanziell abgesichert beschäftigen sich die Frauen in diesem Roman mit Selbstdarstellungen und Nichtigkeiten und nebenbei auch mit ihren Kindern. Sicher kann man vieles unterstreichen, was Meret beobachtet, aber man möchte ihr auch gern sagen, dass man sie als Wohlstandsverwahrloste nicht bemitleidet. Auch die Männer wirken als Ernährer der Familie mittlerweile wie Auslaufmodelle, egozentrisch und blutleer. Nach außen scheinen die Familien heil, vielleicht sogar glücklich, aber im Inneren sind sie alles andere als intakt. Jeder ist seine eigene Insel suggeriert das Buchcover und trifft vielleicht den Kern der Geschichte. Allerdings funktioniert die Familie mit Kindern auf dieser Basis kaum. Auch wenn die Figuren nicht gerade sympathisch sind, ihre Sehnsucht nach Liebe verständlich, die Geschichten dieser beiden Familien spiegeln ein gesellschaftliches Phänomen, die permanente Angst nicht genug vom Leben zu bekommen, nicht das Glück zu erleben, das einem doch zusteht, immer mehr zu wollen und doch verunsichert am gewohnten festzuhalten.