Katrine Engberg: Schwelbrand – Die Narben der Wahrheit, Ein neuer Fall für Liv Jensen, Aus dem Dänischen von Hanne Hammer, Piper Verlag, München 2025, 446 Seiten, €18,00, 978-3-492-06513-9

„Liv verließ das Haus in Christiania mit einer neuen Gewissheit im Körper. Die Spuren liefen nicht parallel, wie sie jetzt geglaubt hatte, sie liefen aufeinander zu und kreuzten sich. Großvaters Ermittlung und seine Freundschaft mit Ida Bergman, die seinerzeit Alban gefunden hatte. Bos versteckte Mappe. Jetzt war er tot und Ida verschwunden.“

Liv Jensen würde ihren Job als Privatdetektivin in Kopenhagen lieber heute als morgen an den Nagel hängen und wieder in den Polizeidienst eintreten. Ihr bester Kontakt, Petter Bohm, informiert sie nun über eine mögliche Stelle, für die sie sich unbedingt bewerben sollte. Nur Liv weiß, dass Petter die Demenz droht und er ab und zu Relevantes vergisst. Als Liv dann bei ihrem neuen Auftrag für Bo Riebenau, bei dem eingebrochen wurde und der ständig nervige Anrufe erhält, Sicherheitskameras installiert, wird sie plötzlich im Keller eingesperrt und muss mitanhören, wie Bo ermordet wird. Der gerade pensionierte Anwalt kannte Livs Großvater, Kriminalkommissar Carl Gunnar Jensen, der vor fünfzehn Jahren verstarb. Beide sind sich im Jahr 1984 in der Freistadt Christiania begegnet, denn Livs Großvater ermittelte in einem brisanten Fall. In Lalikas Hütte kam damals der junge Fotograf Alban Vitting-Hansen zu Tode. Er ist verhungert und verdurstet. Angeblich hatte er Drogen konsumiert und nach seiner Rückkehr aus Afrika durch eine Pilzpsychose in einem völlig verwirrten Zustand gewesen. Warum hat er die überhitzte Hütte, die angeblich nicht verschlossen war, nicht verlassen? Dass der Sohn des Generalstaatsanwalts gerade in Christiania verstarb, interessierte die Presse ziemlich lang. Die Polizei hakte den Fall gegen den Protest des Vaters als Selbstmord ab und Mette, die Freundin von Alban verließ umgehend die Stadt. Eigenartig ist, dass die Fallakte nicht vollständig ist. Auf Bitte Petters hin beginnt Liv zu recherchieren, denn sie interessiert sich auch aus familiären Gründen nicht nur für den Mord an Bo, sondern auch für den Todesfall 1984 in Christiania.
Parallel erzählt Katrine Engberg wieder von Hannah und Nima, die ein Paar waren und enge Bekannte von Liv. Hannah muss sich nach ihrer Kündigung als Psychologin neu orientieren und Nima, der eine Autowerkstatt betreibt, entdeckt, dass seine fünfzehnjährige, pubertierende Nichte Shirin in die Fänge von Drogendealern geraten ist. Nima weiß, dass er den gefährlichen Gangs, insbesondere Bilal Abbar, kaum entkommen kann.
Liv befragt nun Albans jüngeren Bruder, sie findet nach langem Suchen die psychisch kranke Mette und sie spricht mit den Menschen, die damals in der Freistadt enge Vertraute von Alban waren. Der Gedanke in Christiania eine eigene Gesellschaft mit eigenen Regeln aufzubauen, gefiel vielen Kreativen, die sich allerdings auch diverse Freiheiten erhofften. So war Mette nicht nur mit Alban zusammen, sondern auch mit Jørn Kolding, der allerdings Frau und Kinder hatte. Und dann trifft sich Liv auch mit Kirsten Abrahamsen, die beruflich etabliert gern provoziert und kaum bereit ist, über die Vergangenheit zu sprechen. Liv trägt immer neue Details zum damaligen Fall zusammen und stößt auf den sogenannten Rat, der in Christiania selbstgerecht Strafen verhängen konnte, damit Bewohner ihre Verfehlungen erkennen und büßen. Doch wofür akzeptierte Alban damals eine Strafe? Und hat Livs Großvater wirklich ernsthaft alle Spuren verfolgt und nicht etwas vertuscht oder gar Ermittlungsfehler gemacht?
Katrine Engberg zeigt sich auch in diesem neuen Roman als sensible Erzählerin mit großem Respekt vor ihren vielfach gebrochenen Figuren. Aber sie seziert auch eine vorgeblich ideale Gemeinschaft, in der nicht nur Männer, sondern auch Frauen selbstverliebt und skrupellos nur auf ihren Vorteil bedacht waren.