Regina Dürig: Katertag Oder: Was sagt der Knopf bei Nacht?, Chicken House, Hamburg 2011, 110 Seiten, €9,95, 978-3-551-52034-0
„Wir müssen weiter warten, weil wir nicht glauben können, dass wir dir scheißegal sind, dass du weder ohne Alkohol leben kannst noch willst, das alles, was du uns versprochen hast, unwahr ist, dass selbst deine Tränen gelogen waren.“
Schauplatz der Handlung ist kein asoziales Milieu, sondern eine sehr normale gut funktionierende Familie. Die Mutter kümmert sich um die Kinder, da der Vater das Geld nach Hause bringt. Aber dann verschieben sich die wohl geordneten Konstellationen. Der Vater kündigt beim Bauamt und hofft, selbstständig arbeiten zu können. Bereits in der Kündigungszeit sieht es nicht gut aus, doch ein Weg zurück scheint nicht möglich. Gerd Gräfe wird mit dieser unvorhergesehenen Situation nicht fertig. Karin Gräfe, Mim genannt, kann wieder in ihrem alten Job im Auktionshaus arbeiten, was geradezu an ein Wunder grenzt. Gerd Gräfe greift zum Alkohol und das ist der Beginn einer langen Leidenszeit für seine Frau und die Kinder Sasa, 13 Jahre alt und Nico, 15 Jahre alt.
Nico ist der Erzähler. Er schreibt, wie in früheren Kindertagen gewohnt, einen Brief an den Vater. Er spricht ihn direkt an und resümiert ohne Schuldzuweisungen, was in den letzten Wochen und Monaten geschehen ist. Für die Kinder verändert sich der Vater im Laufe der Zeit, als würden sie seine Persönlichkeiten teilen können. Wenn er in seiner alkoholisierten Phase ist, dann nennen sie ihn den Eunk, der sich wie ein Tier aufführt. Doch welches Ich ist sein wahres Ich? Als Nico dann Nele kennenlernt, kommt es zu einer äußerst peinlichen Situation. Nicos Gefühle zwischen Wut und Mitleid mit dem Vater, schlagen in Hass auf sich selbst um. Er ist seinem Vater in vielem so ähnlich und nun scheint das, was der Vater getan hat, fast so als wäre es Nico selbst. Dann findet der Vater ein Büro, rappelt sich auf, um eigenständig zu arbeiten. Es sieht gut aus und doch bleiben die Rückschläge und Alkoholexzesse nicht aus. Völlig überfordert mit der Situation, greift Mim nicht ein. Sie hofft, durch das Schweigen und Nichtantasten der heiklen Punkte, dem Streit aus dem Weg zu gehen. Seitenweise füllt Nico die Blätter mit Vorwürfen und ringt sich dazu durch, das Geschriebene immer wieder wegzuwerfen.
Es ist ein Entwicklungsprozess, den der Junge durchlebt. Scham, Selbstmitleid und Selbsthass treiben den Vater immer tiefer in die Spirale von Versprechungen, guten Vorsätzen, Lügen und Enttäuschungen.
Als Mim den Vater zu einer Eheberatung zwingt und ihm gesagt wird, dass er bevor sie ins Gespräch kommen, erstmal einen Entzug machen muss, dreht er durch. \r\nAlle sind Schuld an seinem miserablen Leben, nur er nicht.
Aber dann eskaliert bei einem Kurzurlaub in Disneyland, wofür die Kinder eigentlich viel zu alt sind, die Situation und allen ist klar, es muss etwas Entscheidendes geschehen.
Regina Düring lässt ihr Hauptfigur Nico in einem sachlich-rückblickenden und doch emotional anrührenden Ton vom Familienleben erzählen. Wie hält man den Absturz des Vaters, seine Persönlichkeitsveränderung aus? Wie gehen die Kinder mit seinen schwankenden Stimmungsphasen um? Nico ist nicht mehr bereit, auch wenn der Vater im Entzug ist, ihn zu sehen oder ihm gar zu vertrauen. Zu tief sind die Verletzungen.
Regina Dürings Geschichte fesselt den Leser vom ersten Satz an, der lautet: „Ich will, dass du weißt, was ich vergessen muss.“ Die Autorin zeigt aus der Sicht des 15-Jährigen äußerst eindringlich, wie das bagatellisierte Problem Alkoholkrankheit eine Familie zerstören kann.
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