Kaisu Tuokko: Gerächt sein sollst du, Aus dem Finnischen von Anu Katariina Lindemann, Aufbau Verlag, Taschenbuch, Berlin 2025, 334 Seiten, €16,00, 978-3-7466-4208-6

„Seine Gedanken kreisten von Sara Snellmans grenzenloser Trauer zu dem Gefühl, das ihn immer überkam, wenn er bei der Arbeit mit dem Tod konfrontiert wurde, und dann zu Eevi, die ihn mehr berührt hatte, als er zugeben wollte. Und dann zu dem toten Jungen, der so alt war wie sein eigener Sohn.“

Von Anfang an liegt eine düstere, zwingende Spannung über dieser Geschichte, die Gefahr grollt unheilvoll im Hintergrund. Und es ist vollkommen klar, dass hier gar nichts gut werden wird. Kriminalkommissar Mats Bergholm übernimmt diesen tragischen Fall. Der siebzehnjährige Jonas Snellman wird in der finnischen Kleinstadt Kristinestad an der schwedischen Grenze bei den Kanuunakallio – Klippen in den Schären tot aufgefunden. Angeblich hat er mit seinen Freunden im Sommerhaus gefeiert. Wobei Jonas, der mit seiner Mutter zusammenlebt, ein Außenseiter ist und wenn er Freunde hat, dann eher online. Je mehr sich Bergholm mit dem Leben des Opfers beschäftigt, um so mehr Sorgen macht er sich um seinen eigenen Sohn, der im gleichen Alter wie Jonas ist. Wie viel wissen oder wollen Eltern vom Leben ihrer beinahe erwachsenen Kinder wissen? Zu vehement betont die Tante von Jonas, dass sie und die Mutter des Toten ihm vertrauten und seine Privatsphäre respektieren wollten. Der Vater von Jonas, ein Trinker und Angeber, hat die Familie verlassen, da war das Kind acht Jahre alt. Nach Aussagen der Mutter habe dieser Verlust Jonas sehr verändert. Bei den Befragungen in der Schule und unter Klassenkameraden ergibt sich ein neues Bild von Jonas. Offensichtlich hat er Drogen genommen, auch Geld gestohlen und mit ADHS-Mitteln gedealt. Hat Jonas sich nun das Leben nehmen wollen oder war es Mord? Als guter Schwimmer bezweifelt die Mutter, dass ihr Kind sterben wollte. Bei der Obduktion entdeckt der Pathologe neben der Kopfverletzung auch viele ältere Verletzungen, die darauf schließen lassen, dass der Teenager offenbar ständig verprügelt und geschlagen wurde. Und dann erhebt Ella, eine Mitschülerin, eine schwere Anschuldigung gegen Jonas. Sie sagt, Jonas habe sie vergewaltigt und die beschämenden Aufnahmen bei Tiktok ins Netz gestellt. Allerdings entschied sich Ella erst auszusagen, nachdem ihre Freundin Isla sich an die Journalistin Eevi Manner gewandt hatte, die sie gut beraten hat. Eevi Manner ist mit ihrem Mann, einem erfolgreichen Fotokünstler, aus Oslo in die finnische Kleinstadt zurückgekehrt. Der Ortswechsel und der geringere Arbeitsstress soll Eevi dabei helfen, endlich schwanger zu werden. Am Tatort hat sie dann, die Welt ist klein, Mats Bergholm, ihre einstige, erste Liebe, nach Jahren getroffen. Bergholms Ehe ist in eine Krise geschlittert und er und Eevi kommen sich in diesem Band doch wieder näher und tauschen vertraulich Informationen aus. Mit Hilfe der sozialen Medien und den Aufnahmen von einem Hüttenbesitzer entdecken die Ermittler, dass nicht nur Ella, Isla, ihr Freund Markus und Jonas im Wald waren, sondern noch eine oder zwei weitere Personen.
Wie und warum Jonas nun ums Leben gekommen ist und welche Rolle die Familien aller Beteiligten spielen, löst sich im Laufe der schwierigen und zugleich extrem bedrückenden Ermittlungen auf. Neben den Einblicken in die Privatleben von Eevi Manner und Mats Bergholm geht es um Polizeiarbeit, aber auch gesellschaftliche Konflikte, die auch in beschaulichen finnischen Orten, die von Banden- oder Gangkriminalität nicht verschont bleiben, ihre Spuren hinterlassen.