Marjolijn Hof, Iris Kuijpers: Julia, Aus dem Niederländischen von Maike Blatnik, Bloomoon, arsEdition, München 2013, 137 Seiten, €12,99, 978-3-8458-0232-9

„Wenn ich so tanzen könnte. Wenn ich das lernen könnte. Wenn ich ein Teil von so etwas Schönem und Unbegreiflichem sein könnte.“

Kein künstlerischer Beruf erfordert von einem Jungen oder einem Mädchen so harte körperliche Arbeit von jungen Jahren an wie der des Bühnentänzers. Julias Eltern wissen das und doch wollen sie Julia, der Ich-Erzählerin, nicht im Weg stehen. Bereits ihre Schwester Inez hat mit dem Tanz begonnen, doch ihre Lehrerin hat nicht vorgeschlagen, dass das Mädchen zu den Aufnahmeprüfungen für die Ballettakademie teilnehmen soll. Julias Ballettlehrerin unterbreitet ihr dieses Angebot und Julia sagt zu.

Das Mädchen ist talentiert, ehrgeizig, zielorientiert und bleibt nach der Aufnahme bis zu ihrem 18. Lebensjahr an der Schule. Doch von Anfang an, weiß der Leser, dass Julia mit sich hadert, sich nicht entscheiden kann, ob sie wirklich Tänzerin werden will, ob ihre Knie es durchhalten, ob die Begeisterung für den Tanz wirklich alles andere überschattet.

Begann das Tanzen in frühen Jahren als Spiel, so empfindet Julia die ständigen kritischen Bemerkungen der Lehrer später als niederschmetternd und das Wissen, sie kann noch so gut sein, noch so talentiert, sie wird nie gut genug sein, um den Ansprüchen zum Beispiel der strengen, übellaunigen Lehrerin Galina im Klassischen Tanz zu genügen. Ihr fehlt die Kraft, der wahre Enthusiasmus, die glühende Leidenschaft für den Tanz und die Kunstform. Vieles ist zu technisch bei Julia, sie ist zu verkrampft, will alles richtig machen, beobachtet sich selbst pausenlos und schämt sich, wenn sich ihr Gesicht rot färbt.

Julia erhält eine wichtige Rolle im „Nussknacker“, auch wenn sie nur die Zweitbesetzung ist. Sie wird in Den Haag mit einem Nachwuchspreis ausgezeichnet und tanzt ununterbrochen. Ihre Freundin Hannah vermisst sie, andere Mädchen, die für talentiert galten, geben im Schuljahr auf und Freunde, die Julia kennenlernt, bleiben nicht, da sie nie Zeit für sie hat.

Julia achtet akribisch auf ihre Ernährung, steckt sich bei Verfehlungen den Finger in den Hals. Aber am heftigsten nagt an ihr die Unberechenbarkeit des Berufes, die als eigene Makel empfundenen Unzulänglichkeiten, ob es nun ihr steifer Rücken ist, der Schmerz im Fußgelenk oder die heftigen Maßregelungen der Lehrer, ob nun im Scherz oder ernst gemeint.

Julias innerer Kampf und ein Gespräch mit einer Lehrerin führt die junge Frau zu einem schweren Entschluss, den sie allerdings nicht bereuen wird. Sie beendet ihre Tanzkarriere, denn sie weiß, wäre sie auf einer einsamen Insel, sie würde sich in den Sand setzen, aber nicht um der Leidenschaft willen ohne Publikum tanzen.

Marjolijn Hof widmet sich in ihrem neuen Buch dem gedanklichen Entwicklungsweg einer fiktiven Figur, die jedoch auch ein realistisches Vorbild hat. Die niederländische Autorin hat sich mit der ehemaligen Tänzerin Iris Kuijpers lang unterhalten, vieles in Julias Geschichte spiegelt auch einen Ausschnitt, allerdings verfremdet, aus ihrem Tanzleben wieder. Durch den Blick nach innen und ihrem eindringlichen Erzählton kann der Leser nachempfinden, wie Hofs Hauptfigur Schritt für Schritt zu ihrem Entschluss gelangt.

Julia empfindet ihr Handeln als Niederlage, aber es ist ehrlicher frühzeitig zu erkennen, wo die eigenen Stärken und Wünsche liegen und was man wirklich vom Leben erwartet