Jule Ronstedt: Menomorphosen, Eisele Verlag, Berlin 2025, 256 Seiten, €23,00, 978-3-9616-1270-3
„Wo sind die empathischen, klugen, komischen Ladys, die sich frisch geschieden in einen Camper setzen und mit einem Koffer voller Geld dem neuen Lover und der neu gewonnenen Freiheit entgegenrauschen? Die den Planeten retten und Trump kidnappen, um ihn zu vierteilen? Die ihre Männer auf der Karriereleiter überholen und sich ihnen als Chefin vor die Nase setzen? Und übrigens auch noch Sex haben. Jawoll!“
Ja, wo sind sie, die starken Frauen in der Filmlandschaft, fragt sich Greta, die einst als erfolgreiche Schauspielerin in jungen Jahren sich vor Angeboten nicht retten konnte und nun in den fünfzigern, wenn sie Glück hat, mal eine Nebenfigur in geschmacklosen Klamotten, als wären sie bei Alice Weidel abgekupfert, in einem Fernsehkrimi mitspielen darf, um sinnlose Sätze mit Betonfrisur aufzusagen.
Doch wo sind die echten Frauen, die über Lebenserfahrung verfügen und noch nicht scheintot sind?
Jule Ronstedt, Schauspielerin, Drehbuchautorin und Regisseurin, erzählt als gute Beobachterin ihre Alltagsgeschichten; es geht um die unsichtbaren, schlanken, geschiedenen, lethargischen, betrogenen, schwangeren, unter Scheidentrockenheit leidenden, armen, dicken, reichen und kraftvollen Frauen. Ob nun Annabelle, Cora, Kerstin, Olga, Tabea oder Zoe, für jeden Buchstaben des Alphabets gibt es einen Frauennamen und eine mal kurze oder auch etwas längere Erzählung immer aus der Ich-Perspektive der jeweiligen Protagonistin. Und diese Frauen haben so einiges zu berichten. Die oftmals oberflächlichen Männer kommen nie gut weg. Allerdings haben die Frauen, die ewigen Kümmerinnen, sich selbst in ihren öden Ehen und bei der stressigen Erziehung der Kinder verloren. So kontrolliert Tabeas Ehemann Ingo, was für ein hässlicher Name, in seinem Wahn den Wasserverbrauch seiner Frau, gesteht ihr kein Konto zu, vergrault alle Freunde und demütigt sie vor den Kindern. Dass die Zweiundfünfzigjährige keine Kraft mehr zum Auflehnen hat und enorm an Körpergewicht verloren hat, bemerkt erst eine Freundin, die spontan nach Jahren vor der Tür steht, und ihr endlich die Flucht aus dem ehelichen Käfig ermöglicht. Frauen empowern andere Frauen, doch sie versinken auch in Einsamkeit, wenn sich ihre Männer nach bequemen Ehejahren jüngeren Gespielinnen zuwenden. Und wenn sie dann endlich, diesmal gemeinsam mit ihrem sie liebenden Mann sich ihren Lebenstraum, ein Kind mit vierundfünfzig Jahren, erfüllen und vor Glück nicht wissen wohin, ist es die kleinkarierte Familie und die fantasielose Umgebung, die naserümpfend ihre angeblich berechtigten Zweifel anmeldet. Ein Trauerspiel.
Manchmal empathisch, manchmal mit einem ironischen Unterton berichten die Frauen von sich und ihren Bemühungen, auch bedingt durch die sozialen Medien, was sie auf sich nehmen müssen, um mitzuhalten. Auch Nele, die von Beruf Maskenbildnerin ist, und deren Mann sich einer jüngeren Frau zugewandt hat, glaubt, dass sie dem Alterungsprozess etwas entgegensetzen muss.
„Trotz gesunder Ernährung und dem Verzicht auf Alkohol sehe ich mittlerweile aus wie eine olle, vertrocknete Rosine. Der Lack ist irgendwann ab, da muss man sich nichts vormachen.“
Doch rettet liften, Kinnlinie und Lippen unterspritzen oder gar Botox eine Ehe? Und will Nele wirklich eine enorme Geldsumme in dem Glauben ausgeben, dass ihre Ausstrahlung nach einer nicht allzu künstlichen Korrektur, so sein wird wie mit, sagen wir, dreißig Jahren. Nur damit ihr Roland, auch so ein blöder Name, sie wieder ansieht?
Lebensnah sind all diese Begegnungen mit Frauen, die möglicherweise an einem Wendepunkt stehen oder sich ihrem Schicksal hingeben. Sie sind sympathisch, leicht verrückt mit ihrem Pipi-Langstrumpf-Look oder auch beige und unangenehm, sie sind fürsorglich oder leiden unter ihrer Kinderlosigkeit und sie sind mitten unter uns, obwohl sie möglicherweise wie Annabelle mit ihrer Superkraft Unsichtbarkeit im Alltag verschwinden.
Mit ihrem leichtfüßigen Gestus, dem eindrucksvollen Alltagsparlando und ihrem komplexen Formbewusstsein trifft Nele Ronstedt genau den richtigen Ton und sie berührt ihre Leserinnen zutiefst, denn jede könnte sich in einer der Frauenfiguren wiederfinden.