Jonathan Coe: Der Beweis meiner Unschuld, Aus dem Englischen von Cathrine Hornung, Folio Verlag, Wien 2025, 416 Seiten, €28,00, 978-3-99037-170-1

„Abgesehen davon haben zwei weitere Verdächtige mit einer politischen Organisation zu tun, die Mr. Swann seit geraumer Zeit im Visier hatte. Anscheinend war er im Begriff, die Ergebnisse seiner Recherchen zu veröffentlichen und wenn man bedenkt, was er enthüllen wollte, erkennt man, dass es wieder um hohe Geldbeträge ging. Darauf läuft es in der Regel hinaus: Geld. Alle reden heutzutage über Werte und Kulturkriege, aber meiner Erfahrung nach bringen sich die Menschen nur selten wegen irgendwelchen Idealen um. Sie bringen sich wegen Geld um.“

Eigentlich wollte die trinkfeste, äußerst agile wie sympathische Ermittlerin DI Prudence Freeborne in Pension gehen, aber der Mordfall am Journalisten und Blogger Christopher Swann bringt sie, was sie eigentlich nicht mehr wollte, an einen Tatort zurück. Die Leiche liegt in einem pompös ausgestatteten Hotelzimmer im Herrenhaus Wetherby Hall. Das Opfer hat sogar noch im Todeskampf einen unleserlichen Buchstaben und die Zahlen acht und zwei notiert. Äußerst seltsam empfand Swann es, dass er innerhalb des Hotels ohne seine Bitte gerade in dieses Zimmer umquartiert wurde. Dass hier ein unterirdischer Gang für die Bediensteten existiert, wussten nur wenige Hotelgäste. Als zahlender Teilnehmer der dort stattfindenden TrueCon – Konferenz hatte sich Swann bereits einige Feinde unter den konservativ, um nicht zu sagen rechtsextrem denkenden Politikern, Geschäftsleuten und der Hotelleitung gemacht. Swann kennt sogar einige Herren der Konferenz aus seiner Studienzeit in Cambridge und ist bestens über die perfiden Absichten des Leiters der Processus Group, Roger Wagstaff informiert, der liebend gern das bisherige britische Gesundheitssystem NHS privatisieren und somit ungeheuren Profit einfahren könnte. Doch noch ist das Volk dazu nicht bereit. Man wettert gegen Wokeness, Cancel Culture und alles, was man für Links hält. Als ein Redner ausfällt, weil er als Schatzmeister in die britische Regierung aufgenommen wird, steht Richard Wilkes aus Venedig am Pult. Allerdings nur kurz, denn genau zu diesem Zeitpunkt stirbt auch noch die Queen.
Richard Wilkes jedenfalls wollte über das wichtige Werk des Schriftstellers Peter Cockewill, der zu gern gegen die sogenannten modernen Autoren wetterte, sprechen und in den letzten Jahren postum immer populärer bei bestimmten Lesern wurde. Allerdings nahm er sich in seinem Haus das Leben und all sein Nachlass verbrannte. Eines seiner wichtigsten Bücher ist allerdings „Beweis meiner Unschuld“ aus dem Jahr 1987. Um dieses Werk und die ebenfalls vernichteten Leseexemplare dreht sich die Geschichte und enthüllt eventuell ein zweites Verbrechen. Doch diesem Text von Jonathan Coe ist nicht zu trauen, denn eine gewisse Phyl, die gerade ihr Studium abgeschlossen hat und nun wieder bei den Eltern lebt, Freunde von Swann, will Schriftstellerin werden. Sie schreibt offenbar drei verschiedene Texte. Doch was steckt hinter all den Geschichten um Memoiren, einen verschwundenen Stick, Handys mit wichtigen Aufnahmen, die allesamt in Seen oder Flüssen versenkt werden, Abschiedsbriefen und Büchern, die so wichtig sind, dass man sie beseitigen muss.
Eines ahnt auch die Ermittlerin in Oxfordshire, bei diesem Mord an Swann geht es um mehr als angebliche Recherchen.
Jonathan Coe lässt seine ironisch eingefärbte Handlung mit diversen unsympathischen Figuren zwischen Fiktion und Wirklichkeit 2022 in der kurzen Amtszeit von Liz Truss spielen, in die alle handelnden Akteure der rechten Seite ihre Hoffnungen setzen. Die Erzählung präsentiert sich in verschiedenen Formen, darunter Memoiren, Autofiktion, persönliche Berichte in Gegenwarts- und Vergangenheitsform und am amüsantesten, dem ersten Entwurf eines Cosy – Krimis. Doch wer ist nun unschuldig und was muss bewiesen werden? Und vor allem, wohin entwickelt sich die britische Gesellschaft mit einflussreichen Männern und Frauen an der Spitze, die eher ein Rollback erhoffen als wirklichen Fortschritt für das britische Volk.
Viele Handlungsstränge könnten die Lesenden verwirren, denn ist Swann wirklich in seinem Hotelzimmer ermordet worden oder bereits auf dem Weg zum Hotel in einem Autounfall ums Leben gekommen? Wer sich jedoch auf die ironisch eingefärbte Geschichte einlässt, wird zur Gegenwart viele Parallelen ausmachen können und in eine Welt der sogenannten Eliten eintauchen, in der Aufmerksamkeit wie auch immer alles ist.