Jo Furniss: Der Stau . Es gibt kein Entkommen, Aus dem Englischen von Sabine Schilasky, Rowohlt Verlag, Polaris, Hamburg 2025, 318 Seiten, €17,00, 978-3-499-01368-3
„Sieh sie dir an, alle haben ihr eigenes Leben im Kopf, das nun auf Pause geschaltet wurde.
Jeder hat eine Geschichte. Jeder ist verdächtig.
Aber jemand weiß Bescheid.
Jemand hat etwas gesehen.
Man kann nicht über den Zaun klettern, um von der Autobahn zu entkommen.
Man kann nicht wegrennen, ohne gesehen zu werden.
Man kann nicht unbesehen, über die Mittelabsperrung klettern.
Man kann sich nicht in Luft auflösen.“
In dieser klaustrophobischen Szene gefangen sind Männer, Frauen, Kinder und Tiere Freitagnachmittag ab siebzehn Uhr auf der Londoner Autobahn in sengender Hitze. An unterschiedlichen Plätzen sind Autobomben in die Luft gegangen und nun sind Innenstadt wie Zugangsstraßen gesperrt.
Belinda Kidd, genannt Billy, kommt gerade mit ihrem Wagen vom Flughafen, sie hatte ihre Schwester in Australien besucht, und leidet unter ihrem Jetlag. Ihre Karriere als Sergeant bei der Polizei geht nach einem Vorfall, bei dem sie jedoch freigesprochen wurde, dem Ende entgegen. Die Einundfünfzigjährige leidet unter der Menopause und einer daraus resultierenden Fahrphobie. Zwischen all den Wagen eingeklemmt spürt sie die Nervosität der Leute und wird auf einen schwarzen SUV in ihrer Nähe aufmerksam gemacht. Der Fahrer wurde offensichtlich getötet. Jemand hat ihm, das stellt sich später heraus, eine Fahrradspeiche in den Nacken gerammt. Auch wenn die erfahrene Billy sich in den Vorruhestand verabschieden wird, übernimmt sie für diesen ungewöhnlichen Fall die Verantwortung. Da alle polizeilichen Einsatzkräfte in der Stadt benötigt werden, muss sie ohne Polizeimarke und Befugnis schnell handeln.
Nach und nach kommt sie nun mit den Autofahrern und Fahrerinnen ins Gespräch, fordert Hilfe ein und weiß, unter ihnen hält sich der Mörder oder die Mörderin auf. Niemand ist, soweit das Billy beobachtet hat, auch nicht auf dem Standstreifen davongefahren.
Jo Furniss erzählt seinen Locked-Room-Thriller aus der personalen Perspektive, lässt aber auch einzelne Protagonisten, die Billy befragt und näher kennenlernt in Gedankenströmen zu Wort kommen. Informationen kann sie bei ihrem alten Kumpel Superintendent Dominic Day per Telefon einholen, und als der Funkverkehr auch noch gesperrt ist, über die Anlage eines Taxis. Mit einfachen Hilfsmitteln sperrt sie den Tatort ab, besorgt sich Kackbeutel von Hundebesitzern, um wichtiges Material sicherzustellen. Auch wenn sich Autofahrer vehement Billys Autorität entgegenstellen, hat sie doch auch Hilfe, zum Beispiel durch Pat Mackey, eine Krankenschwester, die, das stellt sich später heraus, zwölf Jahre im Gefängnis saß oder durch Charlotte McVie, die sich von ihrem gewalttätigen Mann getrennt hat und dem sehr eifrigen Olly Sims. Billy nimmt bei ihren Durchsuchungen einen Drogenhändler hoch und sie findet heraus, dass das Opfer Chad McClusky heißt und amerikanischer Staatsbürger ist. Aber auch das ändert sich nach vielen Nachfragen, denn sein Pass ist gefälscht. Billy findet kein Motiv und sie kann sich nicht erklären, wie der Täter oder die Täterin agieren konnten. Angeblich wollte Chad McClusky in einen kleinen Ort namens Howle Green absteigen, in dessen Nähe ein Luftwaffenstützpunkt der Amerikaner ist. Und hier gab es vor einiger Zeit einen tragischen Unfall, der von der amerikanischen Seite vertuscht wurde.
In kreisförmigen Bewegungen bewegt sich Billy durch ihre investigativen Befragungen auf den oder die Täter zu. Dass die Fahrradspeiche als Mordinstrument ein eindeutiges Zeichen und ein Hinweis ist, ahnt nicht nur die gestresste Polizistin, die körperliche Strapazen aushalten muss und ihren beruflichen Werdegang nochmals überdenken wird.
Ungewöhnlicher Tatort, spannender Plot – ein wirklich gut geschriebener Thriller!