Jackie Thomae: Glück, Claassen im Ullstein Verlag, Berlin 2024, 430 Seiten, €24,00, 978-3-546-10046-5

„Denn in Wirklichkeit war sie jetzt im Saale zu haben, für jeden Deppen, für einen Bruchteil des Ursprungspreises, aufgrund des Verfallsdatums. Da waren sie wieder, ihre Metaphern, und diese sagte sie sich ganz besonders oft.“

Bin ich nur glücklich, wenn ich als Frau vollkommen bin? Das heißt, wenn ich ein Kind habe. Männer fragen sich das sicher irgendwann auch, nur bei ihnen tickt keine biologische Uhr. Frauen sind beruflich etabliert, kurz vor der magischen Zahl vierzig, sie haben einige Beziehungen hinter sich und keinen aktuellen Partner, aber sie sind spät dran, denn sie wollen sie unbedingt: Kinder. Doch warum eigentlich? Woher kommt genau jetzt dieser heftige Wunsch? Weil es die Natur so vorgesehen hat? Weil es zur Vollkommenheit eben dazugehört?
Dabei geht die ziemlich verunsicherte Anahita Martini, die Berliner Senatorin für Familie und Bildung, nicht mal gern mit ihren eigenen Nichten Eis essen, geschweige denn interessiert sie sich für sie, so wie es sich in Großfamilien doch gehört, und ist dazu auch noch eine ambitionierte, aber gescheiterte Lehrerin.
Die biologische Uhr der Frauen läuft im Gegensatz zu der der Männer gnadenlos ab. Wie viel Zeit haben Frauen, wenn sie sich nicht auf anderen Wegen befruchten lassen wollen, für die natürliche Empfängnis? Wer soll dafür herhalten, wenn kein geeigneter Partner in Sicht ist? Wo ist eigentlich der Platz für ein Kind im Leben der vom Beruf völlig vereinnahmten Frauen?
Der bekannte Radiojournalistin Marie – Claire Sturm bezeichnet sich selbst als „Fruchtbarkeitsgöttin“ allerdings für die anderen. Sie bemerkt, dass die Männer, mit denen sie mal zusammen war, in späteren Beziehungen alle Vater geworden sind.
Wenn Jackie Thomaes fiktive Figuren, vielleicht schimmern manchmal auch mögliche reale Personen durch den Text oder die Autorin ist einfach eine akribische Beobachterin, eines nicht mögen, dann die leidige Frage: Haben Sie Kinder? Wobei der schamvollen Verneinung ein mitleidiges Lächeln folgt. Als sei man eine vollwertige Person, wenn Söhne oder Töchter vorhanden sind. Und fragt man einen Mann, ob er Kinder habe und wo diese wären, wenn er arbeitet?
Aus immer neuen Blickwinkeln, konsequent aus unterschiedlichster Frauenperspektive, umkreist die Berliner Autorin ihr Thema. Dabei wagt sie wirklich einen sehr ironisch eingefärbten Exkurs ins Leben von Anahita Martinis Schwägerin Lydia. Sie hat ihren Beruf an den Nagel gehängt, als sie schnell nacheinander drei Kinder bekommen hat. Gefangen, nun in der Mutterrolle, hechelt sie gegen ihren Willen, denn sie hasst nichts mehr als die Mütter auf dem Spielplatz, allen Trends trotz Unwohlsein im „Schlangennest der Konkurrenz“ hinterher. Sogar dem, sich total praktisch der Sackkleider – Mode zu unterwerfen:

„Alltagstauglich, weil es einfach so war. Emanzipiert deshalb, weil kein einziges Leckerli mehr für den Männerblick zu sehen war. Allerhöchstens noch die Waden, die dann in Hobbitfüßen endeten. Niemand stöckelte oder schritt mehr, alle latschten und trampelten durch die Gegend, und Birkenstock ging an die Börse.“

Dramaturgisch sich in immer in neuen detailreichen Einzelschicksalen verlierend folgt man als Lesende den doch ernsten Gedankenströmen und dem auch humoristisch eingefärbten selbstkritischen Alltagsparlando der Frauen, ob sie nun Politikerin, Journalistin, Hausfrau, taktlose weibliche Verwandte, Ärztin oder gar Heilpraktikerin auf einer griechischen Insel sind. Mögen sich die Wege der Frauen kreuzen, so kommen sie doch nie direkt ins Gespräch, denn das Thema Kinder und Kinderwunsch ist heikel.

Plaudert da jemand aus dem Nähkästchen und möchte wirklich einfach mal ein paar Fakten klarstellen, u.a. dass nicht alle Migrantenkinder aus bildungsfernen Haushalten stammen oder ist die Autorin nur am Puls der Zeit, Stichwort: Regretting Motherhood?

Wann stellt das Glück sich ein? Eine ebenso ungewisse wie persönliche Frage.