Jessica Park: Im freien Fall oder wie ich mich in eine Pappfigur verliebte, Aus dem Amerikanischen von Bea Reiter, Loewe Verlag, Bindlach 2014, 379 Seiten, €17,95, 978-3-7855-7867-4

„Finn war einfach hinreißend. Sogar, wenn er platt wie ein Pfannkuchen war.“

Die 18-jährige Julie Seagle aus Ohio ahnt nicht, dass sie Betrügern bei der Anmietung einer Wohnung in Boston auf den Leim gegangen ist. Nun wird es vor Semesterbeginn am Whitney College knapp, eine ordentliche Bleibe zu finden. Julies Mutter ruft Erin Watkin, ihre ehemalige Freundin aus Studienzeiten, an. Sie hilft sofort und bietet Julie vorübergehend das frei gewordene Zimmer ihres Sohnes Finn an. Er ist zur Zeit auf Reisen. Matt holt die verzweifelte Julie und ihre Koffer mit dem Auto ab. Bei der Familie Watkins, die sich sehr intellektuell gibt, fühlt sich Julie, die auch ziemlich gut mit Worten umgehen kann, gleich wohl. Matt absolviert ein Mathe- und Physikstudium und sogar die 13-jährige Celestine verwendet sprachliche Bilder, als wäre sie einem Kostümfilm entsprungen.

Celestine jedoch ist für Julie von Anfang an ein Rätsel. Wie kann es sein, dass ein Teenager sich so unglaublich altmodisch kleidet, keine Freunde hat und vor allem mit einem großen Pappbild durch die Gegend läuft? Die Pappfigur zeigt den 23-jährigen Finn, den die Schwester offensichtlich sehr vermisst. Julie nennt ihn ab und zu etwas abfällig „Papparsch“. Als sie jedoch über Facebook mit ihm Kontakt aufnimmt, ändert sie ihr freches Verhalten und beide kommen sich sehr nah.

Julies Wohnungssuche, Matt versucht zu helfen, entpuppt sich als fast aussichtslos. Die kakerlakenverseuchten Buden für Leute mit geringem Budget sind unzumutbar. Doch Julie will ihren Vater, der seit ihrem fünften Lebensjahr nicht mehr bei der Familie wohnt, nicht um Unterstützung bitten.

Wenn Matt von seinen Studien spricht, dann versteht Julie kein Wort. Aber sie mag den leicht verschlossenen, aber sympathischen Typen, der sich rührend um die Schwester kümmert. Celestines Eltern halten sich sehr im Hintergrund. Sie verreisen allein, legen keinen Wert auf Familienfeste und warmes Essen wird bestellt. Beide sind hochintellektuell, klinken sich aber völlig aus, wenn es um emotionale Probleme geht.

Als Erin bemerkt wie gut Celestine mit Julie auskommt, bietet sie ihr Finns Zimmer an. Als Gegenleistung soll sich Julie um die Tocher kümmern. Sie wird zur Schule gebracht, abgeholt und eigentlich rund um die Uhr betreut.
Julie mag diesen Deal, denn sie glaubt, sie könnte Celestine aus ihrem Schneckenhaus herausholen. Sie kümmert sich sehr um das junge Mädchen und sorgt sich, denn sie bemerkt wie isoliert Celestine lebt. Immer wieder kommen Nachrichten von Finn. Der Kontakt zwischen Julie und Finn über Facebook wird immer vertrauter und langsam verliebt sich die junge Frau in den Weltenbummler, der nie anruft, skypt oder gar Karten schreibt.

Und doch irgendetwas stimmt in dieser Familie nicht, eine Traurigkeit liegt unter der so gekonnt aufgebauten Fassade. Langsam beginnt auch der Leser zu ahnen, was es sein könnte. Als Julie Antworten einfordert, stößt sie auf Gegenwehr.

Angeblich hatte Erin Depressionen und in dieser Zeit hat sich Finn als Elternteil angeboten. Nun übernimmt Matt diese Alltagsaufgabe und die Eltern geben alle Verantwortung an ihn ab.

Aber auch Julie hat ihre Sorgen. Immerhin wollte ihr gut verdienender Workaholik-Vater mit ihr in die Weihnachtsferien reisen, ließ dann aber die Fahrt von seiner Sekretärin absagen. Sogar die geplante Silvesterverabredung mit Julie in einem piekfeinen Lokal in Boston hat der Vater vergessen. Julie ist verzweifelt und endlich richtig enttäuscht. Um sich nicht einzugestehen, wie gleichgültig sie ihrem Vater ist, hat sie sich immer wieder Ausreden für seine Abwesenheit ausgedacht.

Als Celestine dann endlich ihre erste Einladung zu einer Pyjama-Party bekommt, hofft Julie, die auch Papp-Finn etwas aus dem Gesichtsfeld des Mädchens verschwinden lassen hat, auf eine Veränderung. Aber alles läuft schief, und endlich nach einem Riesenkrach mit Matt, muss die Familie Julie die Wahrheit sagen.

Jessica Parks Jugendroman liest sich flüssig und vor allem geheimnisvoll, denn das hinter Celestines „Macke“ ein tiefer Schmerz steckt, ahnt der Leser.

Vielleicht hätten der linear erzählten Handlung ein paar Kürzungen ganz gut getan.