Dave Cousins: Fünfzehn kopflose Tage, Aus dem Englischen von Anne Brauner, Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart 2015, 288 Seiten, €17,99, 978-3-7725-2778-4

„Wenn Mum nicht nach Hause kommt, ist es aus und vorbei. Mittlerweile denke ich, dass Jay ohne Mum und mich vielleicht besser dran wäre. … Sobald ich wüsste, dass er gut versorgt ist, könnte ich mich aus dem Staub machen.“

Als der englische Autor in einem Pub eine betrunkene Frau mit zwei Söhnen beobachtet, die mit den Leuten am Nebentisch einen Streit anfängt, beginnt er sich Gedanken über das reale Leben dieser Kinder zu machen. Wie peinlich ist so eine Mutter und wie loyal verhalten sich Kinder, wenn nichts normal in ihrem Leben abläuft und sie das ganz genau wissen?
Mit einer einzigen Stimme erzählt Cousins seine Geschichte aus der Sicht des älteren Jungen, des fünfzehnjährigen Laurence Roach. Er lebt mit seiner ständig alkoholisierten Mutter, die auch zuschlägt, wenn ihr etwas nicht passt, und seinem sechsjährigen Halbbruder in einer heruntergekommenen, kakerlakenverseuchten Wohnung. Die Mutter hat sich zwei Jobs gesucht, die, wenn sie am Morgen nicht aufstehen kann, ihr Sohn für sie erledigen muss. Laurence hat viele gute Erinnerungen an die Zeit als seine Oma noch lebte und an seine Mutter, die vor dem Selbstmordversuch eine völlig andere Frau war.
Jeden Abend schleicht sich Laurence zur Telefonzelle und versucht mit den geklauten Telefonkarten der Mutter ein Radioquiz als Erwachsener namens Daniel Roach zu gewinnen, damit die Familie endlich in den All-Inclusive-Urlaub reisen kann. Laurence hofft, dass er seine Mutter mit dieser Überraschung endlich glücklich machen kann.
Eines Tages jedoch verschwindet die Mutter spurlos und kehrt nicht mehr zu den Söhnen zurück.
„Ich habe mir eingeredet, es wäre nur eine ihrer üblichen Sauftouren, von denen sie nach einigen Tagen heimkommt, wenn sie kein Geld mehr hat. Aber so war es nicht.“
Laurence übernimmt wie gehabt die Mutterrolle bei Jay, der sich wie ein frecher Sechsjähriger gegen den Bruder auflehnt und am liebsten wie Scooby-Doo den Leuten in die Hosenbeine beißt. Jay sitzt bereits am frühen Morgen vor dem Fernseher und wehrt sich neuerdings gegen die faden Toastscheiben, die Laurence ihm zum Frühstück zubereitet. Geld zum Überleben ist das allergrößte Problem. Auch wenn Laurence sein Sparbuch nach verzweifeltem Suchen von der Oma findet, dass die Mutter zum Glück noch nicht abgeräumt hat, so kann er doch als Minderjähriger ohne Eltern keinen Penny auf der Bank abheben.
Laurence versucht alles, um die Mutter zu finden. Ans Lügen und Notlügen gewöhnt fragt er vorsichtig die Leute an den Arbeitsstellen der Mutter aus, denn niemand darf erfahren, dass die Jungen nun allein leben.

Aber Laurence kann Jay nicht rund um die Uhr betreuen und so setzt Jay die Wohnung unter Wasser und die neugierige Nachbarin, Schnüffelnelly genannt, dringt in die Wohnung der Kinder ein. Sie droht mit dem Amt und Laurence handelt und schreibt ihr im Namen seiner Mutter einen Entschuldigungsbrief.
Nichts, nicht mal die Maskerade als Frau, kann Laurence davon abhalten, seinen Bruder zu schützen, aber auch er gerät an seine Grenzen. Mina, eine Mitschülerin, beobachtet die beiden Jungen und errät schnell ihre Situation. Sie hilft genau im richtigen Augenblick mit Geld aus und sie weiß, dass Laurence nicht mehr lang das Verschwinden der Mutter auch vor Jay verheimlichen kann.
Laurence entdeckt die Mutter dann an der Seite eines fremden Mannes in einem Hausboot. Aber dann geschieht das Unglaubliche. Die alkoholisierte Mutter, die sich selbst am meisten leid tut, kehrt nicht mit den eigenen Kindern wieder nach Hause zurück. Sie bleibt bei Phil, der ebenfalls trinkt und sie angeblich aus dem Wasser gezogen hat.
Inzwischen hat Laurence mit Ruhe, Glück und logischen Überlegungen zu den Fragen wie durch ein Wunder das Quiz gewonnen. Aber auch hier scheitert alles daran, dass nur ein Erwachsener den Preis in Empfang nehmen kann.

Kinder, die in Haushalten groß werden, in denen nur Geld für Alkohol vorhanden ist, klammern sich an die Eltern, egal wie diese sie behandeln. Sie übernehmen wie Laurence viel zu viel Verantwortung. Die Lehrer oder die Kindergärtnerinnen ahnen sicher, was in den Familien vor sich geht, aber sie greifen nie ein, sie bieten Hilfe an, die die Kinder jedoch nie annehmen. Laurence kämpft um seine Mutter und dabei hilft ihm Mina, die nicht glauben kann, dass diese wirklich ihre Söhne im Stich lassen will.

Dave Cousins beschreibt realitätsnah und mit erstaunlich viel Empathie für seine Figuren. Man glaubt Laurence jedes Wort und jedes Gefühl, das er beschreibt. Es ist keine leichte Lektüre, doch Laurence‘ Geschichte berührt durch seinen Mut, seine Durchhaltekraft und seine sympathische Art. Mag Jay ihm noch so auf den Keks gehen, nie würde er, wie die Mutter, seinen Bruder allein lassen.