Gianrico Carofiglio: Eine Frage der Würde – Ein Fall für Avvocato Guerrieri , Aus dem Italienischen von Victoria von Schirach, Goldmann Verlag, München 2016, Seiten, €19,99, 978-3-442-31429-4

„Die einzige Hypothese, die ich nicht in Betracht gezogen hatte, nicht mal eine Sekunde lang – dessen wurde ich mir in diesem Moment bewusst – war, dass Pierluigi Rocca, ein Richter mit – so glaubte ich – tadellosem Ruf, in Wirklichkeit ein korrupter Richter war.“

Strafverteidiger Guido Guerrieri, 48 Jahre alt und geschieden, lebt in Bari, Apulien. Er kann es sich leisten nicht alle Mandanten annehmen zu müssen. Auf brutale Verbrecher, ob wegen Vergewaltigung oder Mafiamorde angeklagt, kann er verzichten. Ihn interessieren eher die harmloseren Fälle. Er sammelt manisch Bücher, boxt leidenschaftlich gern und unterhält sich auch mit seinem Boxsack, mit sich selbst oder mit Leuten im Radio. Mag sein, dass er allein ist, aber das ist für ihn mittlerweile Gewohnheit und Lebensart.

Als Guerrieri dann doch erfolgreich einen Vergewaltigungsprozess gewinnt, das angebliche Opfer hatte sich in Widersprüchen verfangen, bekommt er eines Tages einen Anruf von seinem ehemaligen Mitstudenten und jetzigen nicht gerade beliebten Richter, Pierluigi Rocca. Er hatte aus sicherer Quelle erfahren, dass gegen ihn ein Verfahren wegen Bestechlichkeit eingeleitet wurde. Angeblich soll er hohe Summen dafür genommen haben, dass er wirklich gefährliche Leute vor der Haft verschont hat. Für Rocca eine Katastrophe, denn sein Ruf wäre zum einen, auch wenn nichts hinter den Beschuldigungen stecken würde, geschädigt, zum anderen bleibt immer etwas hängen. Ein Mafia-Aussteiger mit vielen anhängigen Strafverfahren ist der angebliche Zeuge. Auch wenn Guerrieri Rocca vertraut, so schleicht sich doch schnell ein Unbehagen bei ihm ein. Als die Sache, für eine Untersuchungshaft fehlen die entscheidenden Aussagen, an die Öffentlichkeit gelangt, findet die erste Hausdurchsuchung statt. Rocca hat erstaunlich viele Devotionalien aus Londoner Luxushotels in seinem Bad angehäuft und er rastet in Gegenwart Guerrieris maßlos aus, wenn es um seine angebliche Schuld geht. Fluchend und ausfallend fordert er Vergeltung.

Guerrieri hat sich durch die Journalistin und jetzt als Privatdetektivin arbeitende Annapaola Informationen beschaffen lassen. Sein erstes Kreuzverhör mit dem Zeugen läuft erstaunlich gut und kann seine Glaubwürdigkeit erheblich erschüttern. Es werden keine Bestechungsgelder bei Rocca gefunden, keine Hinweise auf Kontakte, obwohl seine Telefone abgehört wurden. Aber dann behauptet ein guter und vor allem sehr glaubwürdiger Bekannter von Guerrieri, Carmelo Tancredi, dass die Vorwürfen gegen Rocca stichhaltig sind.

Guerrieri muss völlig umdenken und verflucht seine Eitelkeit, das er diesen Fall angenommen hat. Wie kann er einen durch und durch korrupten Richter, der für das Recht als Person steht, verteidigen und ihn möglicherweise sogar entlasten.

Dieser Konflikt mit dem Rechtsstaat und der ungeheuerlichen Macht des Richters, die durchaus wirklichkeitsnah geschildert wird, betrifft den Anwalt nun existentiell.

Hier gibt es keine Kompromisse und auch ein Richter kann und darf nicht mit zweierlei Maß messen.

Spannend, stellenweise vielleicht doch zu sehr in die Juristensprache verliebt, erzählt Gianrico Carofiglio vom Leben seiner Hauptfigur, die sich nun auch noch zu verlieben scheint und behandelt gleichzeitig ein hochmoralisches Thema.