Doris Knecht: Ja, nein, vielleicht, Hanser Berlin, Berlin 2025, 240 Seiten, €24,00, 978-3-446-28288-9

„Ich glaube, dass die romantische Liebe schädlich für mich ist, nicht nur für mich, für die meisten Frauen, sie schwächt uns, sie gaukelt uns eine falsche Sicherheit vor, sie raubt uns unsere Freiheit und Unabhängigkeit.“

Wer bereits den Roman „Eine vollständige Liste aller Dinge, die ich vergessen habe“ gelesen hat, kennt die namenlose Ich-Erzählerin und ihr Umfeld, in dem und mit dem sie en passant ihre leicht ironisch eingefärbte Geschichte mit Tiefgang entwickelt. Im Text findet sich dann sogar gleich eine Anmerkung von ihrer Lektorin und der Agentur, die z.B. etwas an dem doch so sympathischen, aber viel zu normalen Johnny, dem platonischen Freund der Erzählerin, auszusetzen haben. Den Charme der Handlung macht auch bei diesem Folgeband der Klang der subjektiven Authentizität aus. Natürlich fragt man sich, ist das ein autofiktionaler Text oder nicht.
„Die Frau, über die ich schreibe, gibt es nicht. Sie ist ein Konstrukt, zusammengesetzt aus Erinnerungen, viele davon fehlerhaft, aus Selbstüberhöhungen und Selbsthass, aus Erzählungen von anderen, aus Bildern von Fotoalben.“( Aus: „Eine vollständige Liste aller Dinge, die ich vergessen habe“, Verlag Hanser Berlin, Eine Besprechung zum Buch befindet sich in diesem Literaturblog. )
Geschieden, Mitte fünfzig, Mutter von erwachsenen Zwillingen, die studieren und gute Freundin von Therese scheint im Leben der Ich – Erzählerin alles im Lot zu sein. Sie liebt ihren Hund, nicht immer ihr Leben allein, aber meistens und die Freiheit nach einem Arbeitsleben als Journalistin, Bücher zu schreiben. Doch dann wackelt ein Zahn und die Aussage des Zahnarztes, dass dieser nicht mehr zu retten sei und auch nicht ersetzbar, führt dazu, dass die Erzählerin melancholisch in einen Gedankenstrom über die Endlichkeit des Lebens versinkt. Ein Anlass führt dazu, dass die Erzählerin auf eine sehr sympathische Art und Weise über die Sorgen und Freuden einer Frau nach den Wechseljahren schreibt. Sie trifft ihren ehemaligen Freund Friedrich, den sie zuletzt in New York vor vierundzwanzig Jahren gesehen hat, und schon beginnt das Gedankenkarussell weiter zu rotieren. Was könnte sein, was könnte nicht sein? Kennt sie den Menschen wirklich? Wie hat er sich durch die Jahre hinweg verändert? Will sie sich auf etwas einlassen? Ja. Nein. Vielleicht? Bei aller Leichtigkeit schwingt, wenn es um Männer geht jedoch auch sehr viel Kränkung mit.

„Ich habe oft genug erlebt, dass sie dich heute umwerfend und interessant finden, morgen anstrengend und übermorgen lästig. Dass sie oft scheiße sind, dass so viel Scheiße in ihnen steckt, für die sie oft nicht mal was können, die Scheiße wurde in sie hineinerzogen …. Die Scheiße, die einer in sich hat, verschwindet nicht einfach, weil du so eine tolle Frau bist, …“

Seltsam ist, dass ihre vier Schwestern alle noch verheiratet sind, denn im Bekannten- und Freundeskreis der Erzählerin haben alle schon mal eine Scheidung durchlebt. Auch ihre beste Freundin Therese, die nun in Eddie ihren Traummann gefunden hat und ihn sogar heiraten will. Die Erzählerin muss sich sehr zusammen nehmen, um nicht eifersüchtig zu sein oder sich ganz ihren Verlustängsten hinzugeben, denn Therese hat mit ihr alles durchlebt, was eigentlich ihr Ehemann hätte teilen sollen. Doch die Welt ist brüchig. Paula, die perfekte Schwester der Erzählerin, möchte gern in der Stadtwohnung der Ich-Erzählerin eine Zeit lang wohnen. Kein Problem, denn die Autorin schreibt ja in ihrem Landhaus. Doch dann, als sie wiedermal einen Termin bei der Parodontologin hat, und in ihre Wohnung will, schlägt ein gewisser Jörg, der wohl aktuelle Liebhaber von Paula, ihr die Tür vor der Nase zu. Nichts ist so, wie es oftmals von außen scheint.
Der Zahn ist locker, im Landhaus gibt es Risse in der Wand, das neue Buch wird nicht fertig, ein Hochwasser überschwemmt beinahe das Haus und die Hochzeit der Freundin steht vor der Tür, deren Vorbereitungen irgendwie ausufern – die Ich-Erzählerin, die so ihre Unabhängigkeit gepriesen hat, kommt ins Grübeln. Sie vertrödelt ihre Zeit bei Instagram, hadert mit dem Älterwerden und verteidigt innerlich zerrissen doch ihre Freiheit und das Alleinleben mit Hund. Und alles klingt so wunderbar normal und manchmal greift die Autorin auch zu so richtig schön drastischen Worten für ihre Empfindungen und man folgt der Lektüre wie einer guten Freundin, der man zu gern zuhört und ihren Ausführungen zustimmen möchte oder auch Widerspruch einlegen könnte. Als gute Beobachterin weicht man der selbstkritischen Ich-Erzählerin nicht von der Seite und kann über solche uneitlen Passagen nur schmunzeln:

„Die Gastgeberin kochte barfuß in einer Latzhose über einem schlichten blauen T-Shirt, der eine Träger war wie zufällig aus seiner Öse gerutscht und hing wie der halbe Latz nach unten, es sah fantastisch und überraschenderweise nicht bemüht aus, nur sie konnte so was tragen, ich bewunderte es neidvoll, ich würde in diesem Look aussehen wie ein obdachloser Clown.“

Beste Lektüre für alle, die Aufbrüchen skeptisch gegenüber stehen und doch erwarten, dass im Leben noch so einiges geschehen könnte. Und was am wichtigsten ist, endlich steht mal eine Frau im Mittelpunkt der Geschichte, die mit Mitte fünfzig das Leben feiert.