Anna Kuschnarowa: Djihad Paradise, Beltz & Gelberg Verlag, Weinheim 2013, 413 Seiten, €14,95, 978-3-407-81155-4

„Ich wurde in eine Zweimannzelle verlegt und geriet in einen Sog. Nie hätte ich gedacht, dass so etwas passieren konnte. Natürlich nicht sofort, aber nach und nach geriet ich in einen Sog, der alles ändern sollte.“

Der 21- jährige Julian Engelmann, der sich jetzt Abdel Jabbar Shahid nennt und vor kurzem aus Waziristan zurückgekehrt ist, steht im rosafarbenen Kaufhaustempel Alexia mit einem Sprengstoffgürtel um den Bauch und will sich als Salafist und Gotteskrieger in die Luft sprengen. Plötzlich steht seine ehemalige Freundin und Frau Romea, ehemals Shania, vor ihm, das Mädchen mit den schlingpflanzengrünen Augen.
Wie kann es zu so einer prekären Situation kommen? Zwei Deutsche, einst ohne Glauben, sind zu Muslimen konvertiert. Er wurde ein fanatischer Anhänger der Religion, sie trägt noch ein Kopftuch, zweifelt aber am geheuchelten Verhalten der Gläubigen, auch Frauen, die sich dem Islam verpflichtet fühlen.

In Rückblenden fächert die deutsche Autorin, die Germanistik, Ägyptologie und Prähistorische Archäologie studiert hat, das Leben ihrer beiden Hauptfiguren auf. Jeweils aus der Sicht von Julia und Romea erfährt der Leser von deren Innenleben und Motivationen. \n\nJulian wechselt wiedermal die Schule und landet in Romeas Klasse. Zwischen beiden Jugendlichen, die aus sehr unterschiedlichen Elternhäusern stammen, entwickelt sich schnell eine Beziehung. Julians Mutter verlässt die Familie voller Verachtung. Sie hasst ihren alkoholabhängigen, schlaffen Ehemann und sie sieht keine Hoffnung für ihren Sohn, der, wie sie prophezeit irgendwann mal im Knast landen wird.
Romea fühlt sich einsam in ihrer Familie. Die Eltern leben nur für ihre Arbeit und die Familie läuft nebenher mit Nannys und allem finanziellem Komfort, den man sich vorstellen kann. Den einzigen Wunsch, den das Mädchen hätte, wäre Zeit mit den Eltern zu verbringen. Sie ahnt jedoch, dass sie mittlerweile auch zu alt ist, um darauf noch zu hoffen. Als die Eltern sich dann wirklich mal ein paar Stunden frei nehmen, um ihren neuen Freund Julian kennenzulernen, endet auch diese Begegnung in einem Fiasko.

Julian und Romea, sie hat genug Geld, hauen einfach ab, wollen alles hinter sich lassen, zumal Julian wieder in die Fänge seines Drogendealers gelangt ist und für ihn eine paar Brüche begangen hat. Aber in Barcelona läuft alles schief und Julian landet im Gefängnis. Nach Deutschland ausgeliefert, lernt er im Knast Murat, einen gläubigen Salafisten kennen. Aus Abneigung entsteht Freundschaft als Julian im Gebet plötzlich eine innere Ruhe und Zufriedenheit spürt und einen Raum findet, im dem alles gut ist, wenn man betet. In der Religionsgemeinschaft zählt jedoch nicht nur unbedingt der Glaube, sondern eher das Gefühl der Zusammengehörigkeit, das Einstehen für den anderen.
Julian zieht mit seinem Interesse für den Islam auch die sich anfänglich sträubende Romea auf seine Seite. Nach mehreren Auseinandersetzungen mit den Eltern zieht Romea zu Julian, der nach seiner Gefängniszeit nun mit Murat zusammenwohnt. Da Julian immer noch Schulden bei seinem Dealer hat, muss er mit Murat und Romea eines Nachts fliehen.

Alle drei finden in der Moschee eine Unterkunft. Die Nähe zu den Gläubigen in der Gemeinde der „Salafiyya-Bruderschaft“ ziehen Julian und Romea, die jetzt sogar heiraten, immer tiefer in die Denkweisen der Moslems hinein. Romeas verzweifelte Eltern finden keinen Weg zu ihrer Tochter. Julian versinkt im Glauben, denkt, dass er endlich das gefunden hat, was er benötigt und gibt sich doch selbst und seine Verantwortung für sein Leben auf. Als die klügere Romea ihn dazu animiert doch endlich Arabisch zu lernen, um den Koran besser zu verstehen, darf er natürlich mit Murat nach Ägypten reisen. Romea gibt ihr eigenständiges Denken nicht auf und so häufen sich die Konflikte bis zu dem Moment, wo Julian Romea brutal niederschlägt. Der Bruch ist unvermeidlich, denn Romea verlässt sofort die Moschee und den Einflussbereich der Salafisten. Julian verfolgt nun erst recht sein Ziel. Er will „vergangenen Mist ausbügeln“, um ins Paradies zu gelangen. Seine extrem existentiellen Erlebnisse zwischen den sich bekämpfenden muslimischen Gruppierungen im Nahen Osten beenden seine Abenteuerlust, aber nicht die Idee, für den Glauben zu sterben. Am Ende stehen sich Romea und Julian, die beiden, die einst so verliebt ineinander waren, gegenüber.
Auf der Suche nach dem, was man für wichtig hält, kann eine entscheidende Begegnung gerade in jungen Jahren eine Rolle spielen. Der haltlose Julian trifft auf Murat und seine religiösen Rituale, die dem Leben Struktur und Inhalt geben könnten. Julian verliert sich im Glauben, stellt nichts mehr in Frage. Romea sehnt sich ebenfalls nach Zuwendung, verliert aber nicht ihre Selbstachtung.
Ob spekulativ erdacht oder recherchiert, diese Geschichte scheint glaubwürdig zu sein, denn sie überzeugt auf der psychologischen Ebene. Die inneren Beweggründe der Jugendlichen sind verständlich, wenn auch nicht immer nachvollziehbar.
„Djihad Paradise“ fordert dem Leser vieles ab. Anna Kuschnarowa dringt aber auch in fremde Welten ein und öffnet den Blick für das Andere, Unbekannte ohne es nicht auch kritisch zu betrachten.