Veit Heinichen: Die Zeitungsfrau, Commissario Laurenti in schlechter Gesellschaft, Piper Verlag, München 2016, 352 Seiten, €20,00, 978-3-492-05758-5
„Der gefährlichste Ort der Welt war die Familie. Spannungen wurden ungehemmt hineingetragen und eskalierten.“
Da wirft ein junger Mann einen Molotowcocktail auf die Questura und bittet förmlich darum, endlich festgenommen zu werden. Er will unbedingt dem Zugriff seiner besitzergreifenden Mutter entfliehen und seine Ruhe haben. Die spinnen die Italiener, könnte man denken und haben keine anderen Probleme, aber weit gefehlt. In Veit Heinichens neuem Laurenti – Krimi stehen Flüchtlinge in langen Schlangen an, um sich registrieren zu lassen, Korruption, Geldwäsche und Kriminalität blühen und der Commissario wird aus dem Urlaub zurückgeholt, denn eine Explosion im Sporthafen erinnert an die kriminelle Handschrift von Diego Colombo, der sich allerdings 1991 selbst bei einem Ablenkungsmanöver in die Luft gesprengt hat. Ein Lastkraftwagenfahrer und Familienvater war allerdings im Hafen zur falschen Zeit am falschen Ort und so muss Laurenti die Ermittlungen aufnehmen. Auch Diego Colombo hatte zu Lebzeiten einen Toten auf dem Gewissen, aber nie konnte Laurenti ihm etwas nachweisen, was ihn bis heute wurmt. Colombo war ein galanter Dieb, der eigentlich aus Argentinien stammte und zu Beginn des Falklandkrieges nach Italien zu Verwandten floh. Bestohlen hat er immer nur die Wohlhabenden, die über wertvolle Gemälde verfügten. Allerdings geriet er in die Fänge des korrupten Polizisten der Guardia di Finanza, Lino La Rosa, der ihn erpresste und letztendlich auch verriet. Als Colombo angeblich starb, war seine Frau, Teresa Fonda, schwanger. Seit gut 25 Jahren führt sie nun ihren kleinen Kiosk und ist die „Zeitungsfrau“, die mit ihrer Schönheit die männlichen Kunden bezirzt. Auch Laurenti ist nicht immun gegen ihre Reize. Allerdings bleibt er auch skeptisch, denn Teresa hat drei Kinder, die auffällig Diego Colombo ähneln und so bleibt die Vermutung, das er immer noch am Leben ist. Auch kann eine alleinstehende Mutter mit einem Kiosk finanziell nicht so gut dastehen. Sie muss über weitere Einnahmen verfügen und beste Kontakte zur Justiz. Als Colombo verstarb, entschied sich die hochschwangere Teresa seinen Widersacher zu töten. Allerdings hat sie La Rosa mit dem Auto nur schwer verletzt und für den Rest seines Lebens an den Rollstuhl gefesselt. Die minderjährige Tochter La Rosas, Daria Bono, muss sich nun um ihren biologischen Vater kümmern, der sich erst zu ihr bekannte, als er eine Pflegerin benötigte. Für Daria und ihr Schicksal hätte man Mitleid haben können, wäre sie nicht zu einer berechnenden wie bitterbösen Frau geworden. Lino La Rosa hatte in seinem beruflichen Leben, ohne entsprechende Konsequenzen, betrügen und erpressen können. Auch Darias Eltern gehörten zu den Leidtragenden, allerdings tötete Darias geliebter Vater ihre Mutter, als er von dem Verhältnis zu La Rosa erfuhr. Daria Bono ist nun Anfang 40 und führt als Verwalterin ein Altersheim. Wenn in ihrem Haus wohlhabende Pensionäre sterben, geht sie brav zur Beerdigung mit ihrem Malteser Hund Gulasch, währenddessen ihre kleinkriminellen Helfershelfer das Erbe der Toten beiseite schaffen.
Die Explosion im Triester Freihafen soll die Polizei nun auf die Spur von Daria Bono, La Rosa und beider Rechtsanwalt Carfi führen, die dort ihr Diebesgut verstecken. Proteo Laurenti zeigt, ehe er Gutachter beauftragt, seiner Frau, einer Kunstexpertin, die gefundenen Schätze, die Bilder alter Meister, die auf gar keinen Fall Fälschungen sind.
Bei dieser vertrackten Geschichten ist der Leser manchmal dem Commissario ein Stückchen voraus. Er weiß, dass Daria Bono glaubt, den wahren Diego Colombo gefunden zu haben. Dieser Raffaele Maran ist allerdings der Geliebte von Teresa, die immer wieder in ihren Zeitungsstapeln Kopien von Bildern findet, die einst Diego gestohlen hat. Nicht unbedingt ängstlich fühlt sie sich doch bedroht und vertraut sich Laurenti an. Dieser beginnt nun mit seiner routinierten Polizeiarbeit, d.h. mit Befragungen und Durchsuchungen und gerät an hartgesottene Gauner, die jegliches Gefühl, auch für die eigenen Familienmitglieder, längst verloren haben.
So sagt La Rosa spöttisch zu Laurenti:„Was interessiert mich Kunst? Alte Bilder sind die einzige stabile Wertanlage, die im letzten Vierteljahrhundert nie verloren hat, während Immobilien, Wertpapiere, Rohstoffe und Beteiligungen riesige Einbußen verzeichneten.“
Laurenti jagt im 9. Band nun seinem Phantom hinterher, täuscht sich in Teresa Fonta und sorgt sich um seine eigenen Kinder. Livia hat sich in einen deutschen Anwalt und Besserwisser verliebt, Marco sucht sich keine Arbeit als Koch und Barbara zieht um die Häuser und überlässt ihre kleine Tochter seiner Schwiegermutter.
Wie immer spielt Triest als Dreh- und Angelpunkt zwischen Balkan und Westeuropa eine Hauptrolle in diesem spannenden Fall. Seit zwanzig Jahren lebt Veit Heinichen in der Hafenstadt und schaut bei seinem Plot hinter die Fassaden der noblen Gesellschaft. \r\nVeit Heinichens Romane sind um Längen literarischer und vom Handlungsaufbau tiefgründiger und komplexer als die Venedig-Romane von Donna Leon. Doch wer Italien, das gute Essen und unterhaltsame Krimis liebt, kann je nach Lust und Laune mit beiden Autoren glücklich werden.
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