Linn Ullmann: Die Unruhigen, Aus dem Norwegischen von Paul Berf, Luchterhand Literaturverlag, München 2018, 409 Seiten, €22,00, 978-3-630-87421-0

„Um über wirkliche Personen zu schreiben wie Eltern, Kinder, Geliebte, Freunde, Feinde, Onkel, Brüder oder zufällige Passanten, ist es notwendig, sie zu fiktionalisieren. Ich glaube, dies ist der einzige Weg, ihnen Leben einzuhauchen. Sich erinnern heißt sich umschauen, immer wieder, jedes Mal von Neuem erstaunt.“

Linn Ullmann ist die Tochter von Ingmar Bergman und Liv Ullmann. Allerdings hat sie ihre Eltern, die unruhigen Künstler, nie zusammen erlebt, denn die Mutter hat den Vater verlassen, da war das Kind drei Jahre alt. Groß war der Altersunterschied der Eltern, die sich bei Dreharbeiten ineinander verliebt hatten, gute zwanzig Jahre. Linn ist das jüngste Kind von Ingmar Bergman, der bereits acht Kinder von sechs Frauen hat. Als Linn 1966 unehelich geboren wird, ist der Vater siebenundvierzig Jahre alt. In ihren Erinnerungen, die um Vater, Mutter und die Kindheit kreisen, wird die norwegische Autorin immer von „Vater“, „Mutter“, „er“ oder „sie“ sprechen. Wohltuend ist diese Distanz, zumal völlig klar bleibt, von wem die Rede ist. Ob jedoch alles sich wirklich so zugetragen hat, bleibt ebenfalls in der Schwebe.

Jeden Sommer wird das Kind seine Ferien beim Vater verbringen, der, als er die Mutter von Linn kennenlernt, in Hammars ein Haus am Meer bauen lässt. In ihrer bildlichen Sprache schildert die Autorin, die Szene, wie das spindeldürre, kleine Kind allein mit seinen übergroßen Koffern vor dem Haus steht. Ingrid, die letzte Ehefrau von Ingmar Bergman, wird sich um sie kümmern. Der Vater tut sich schwer mit seinen Kindern, ihm fällt der Abschied leichter als die Begrüßung. Zeiten mit dem Vater in seinem Arbeitszimmer werden akribisch geplant. Leise muss die Tochter sein, wenn der Vater arbeitet. Als Kind und später als Erwachsene wird sie mit ihm Filme schauen. Er, der immer sehr pünktlich ist, verspätet sich als er jedoch schon weit über achtzig Jahre alt ist. Ein Zeichen für die Tochter, das so einiges nicht mehr in Ordnung ist. Er fuhr gern schnell Auto und hatte ein aufbrausendes Temperament, dass die Tochter doch nie, auch wenn sie ihn beim Schreiben störte, zu spüren bekam. Als der Vater sichtlich alterte, durch den Tod seiner Frau Ingrid sehr litt und tageweise leicht verwirrt wirkte, beschlossen Tochter und Vater ein Buch über das Altern zu schreiben. Der korrekte Vater, der nie Improvisationen duldete, plante nun gut zwei Jahre mit der Tochter dieses Projekt. Linn kaufte ein Tonbandgerät und stellte dem Vater in mehreren Sitzungen viele Fragen, die er auch, nicht alle, beantwortete.
Nach dem Tod des Vaters im Sommer 2007 trug die Tochter diese Aufnahmen, die ihrer Meinung nach so gar nichts wurden, in ihrer Tasche mit sich herum. Auch ihre Großmutter, und das klingt kurios, trug die Asche ihres Mannes in ihrer Tasche.
Erst nach acht Jahren kann die Tochter die sechs Aufnahmen jeweils zwei Stunden lang transkribieren, und so ziehen sich die Gespräche zwischen Vater und Tochter über die Arbeit, die Krankheiten, das Altern, den Tod, die Frauen, die Liebe und vieles mehr durch diesen Erinnerungsroman hindurch.

Linn Uhlmann umkreist auch die Kindheit mit der alleinerziehenden Mutter, die viele Liebhaber hatte und oft den Wohnort wechselte. Sie und er, der Vater, werden nie den Kontakt verlieren und auch zusammen arbeiten. Ob das Kind beim Vater oder bei der Mutter ist, der Leser bemerkt immer eine gewisse Einsamkeit im Leben des Kindes, besonders als Linn mit der Mutter in die USA ging.
Schnell wollte Linn erwachsen werden, denn mit Kindern als Spielgefährten konnte sie nichts anfangen.

So wie das verschwommene Foto auf dem Buchcover bleibt vieles im Ungewissen, anderes wird klar ausgesprochen, analysiert und ausgiebig reflektiert. Eine Liebeserklärung an die Eltern ist entstanden, aber auch eine warmherzige Geschichte über eine Vater – Tochter und Mutter – Tochter – Beziehung, über das Altern, die Liebe, das Abschiednehmen und die Erinnerung.