Camilla Grebe und Åsa Träff: Die Therapeutin, Bevor du stirbst, Aus dem Schwedischen von Gabriele Haefs, btb Verlag, München 2013, 496 Seiten, €14,99, 978-3-442-75369-7

„ Und plötzlich bin ich einfach sicher. Er hat etwas mit sich herumgeschleppt. Ein Geheimnis.“

Siri Bergman kann es nicht besser treffen. Seit dem Tod ihres Mannes Stefan vor fünf Jahren ist sie privat und beruflich wieder glücklich. Markus ist ein liebender Gefährte und Vater und beider Sohn Erik ein kleiner Sonnenschein. In der Praxis läuft alles prima mit Sven und Freundin Aina.

Alles bestens. Ja, wären da nicht immer noch diese Schuldgefühle, die Siri mit dem Freitod ihres Mannes verbindet. Endlich will sie seine Sachen vom Dachboden durchsehen und entsorgen. Aus diesem Vorhaben wird jedoch schnell ein eigener Fall, denn Siri entdeckt, dass Stefan die Todesanzeige eines ehemaligen Freundes aus dem Gymnasium aufgehoben hat. Seinen Namen hat er in Siris Gegenwart nie erwähnt. Dieser Anders Holmberg wurde auf öffentlicher Straße ermordet und niemand kann sich diese Tat erklären. Stefan war bei der Beerdigung, hat mit den Eltern des Ermordeten gesprochen, aber nie mit ihr.

Siri findet ein Foto von einer jungen Frau, sucht in seinem Kalender nach Spuren und beginnt sich immer mehr in diese vergangenen Geschichten zu vertiefen. Dabei verliert sie die Gegenwart aus den Augen. Sie verärgert nicht nur Markus und ihre Kollegen mit ihren Recherchen, sie vergisst auch wichtige Termine in der Praxis.

Im Rückblick lassen die Autoren-Schwestern den Leser 1988 in Stefans Leben schauen. Sie zeigen, was Anders und Stefan in ihrer Freundschaft verbunden hat, was sie innerlich bewegte und wie sie mit ihren anderen Freunden, Ulrik und Micke umgegangen sind. Die Welt stand für alle Jungen offen und doch muss irgendetwas Relevantes geschehen sein, das alles zerstört hat.

Siri beginnt mit allen Leuten zu reden, die mit Anders zu tun hatten. Sie sucht die Freunde von damals auf und spricht sogar mit der Zeugin, die sich nach Anders Ermordung bei der Polizei gemeldet hatte. Ziemlich zugedröhnt mit Drogen hat sie jedoch gesehen, dass Mörder und Opfer sich gestritten haben und dass der Mörder zu Anders etwas gesagt hat. Dieser Satz wird der Zeugin zum Verhängnis werden.

In gewisser Weise dreht sich auch die Therapie für Siris einzige Patientin, Caroline Helsén, um das Thema Verlust. Sie kann nicht glauben, dass ihr Freund sie nach einer langen Beziehung verlassen hat, um mit einer anderen nun Vater zu werden.

Sie geht ohne Zweifel davon aus, dass ihr Freund manipuliert wurde, keinen eigenen Willen hatte und bald zu ihr zurückkehren wird. Ein Irrtum, wie sich bald zeigen wird.

Stellt sich in Siris und Carolines ehemaligen Beziehungen die Frage, kann es sein, dass man mit jemandem sein Leben verbracht hat, den man gar nicht kennt. Man hat ein Bild von dem anderen Menschen, glaubt, zu wissen, wer er ist. Aber das ist letztendlich ein Lüge.

Stefans Depressionen kurz vor dem Unfall, den Siri eindeutig als Selbstmord erkannt hat, sind nicht auf den frühen Tod ihres Kindes zurückzuführen. Die Ursache für den Abschied vom Leben liegt tiefer. Siri setzt alles aufs Spiel, um endlich für sich Klarheit zu gewinnen. Was sie dann erfährt, ist schlimmer als alles, was sie sich vorstellen konnte.

Wie immer gewinnen die Romane der schwedischen Schwestern ihre Spannung und Dynamik aus Siri Bergmans privatem Umfeld und ihrer Tätigkeit als Therapeutin. Plätschert die Handlung eher so vor sich hin, wird durch scheinbar oberflächliche Kontakte zwar vorangetrieben, aber nicht erleuchtet, so nimmt die Handlung zum Ende hin enorm Fahrt auf und muss in einem Zug durchgelesen werden.

Ohne es zu ahnen, liefert Siris Lebensgefährte Markus, der bei der Polizei arbeitet, ihr in diesem Fall die wichtigste Information, obwohl er nicht verstehen kann, warum Siri ihren verstorbenen Mann nicht loslassen kann.

In gewisser Weise löst Siri letztendlich unter Einsatz ihres eigenen Lebens den Mordfall Anders und sie befreit sich von ihren Schuldgefühlen, denn sie weiß nun, sie hätte Stefan nicht helfen können.